Das Archiv
Ein großer Teil der Arbeit besteht vor allem am Beginn des Projektes darin, Autorenhomepages zu suchen und relevante Informationen zu sammeln, die dabei helfen sollen, die Homepages zu beschreiben und auch in bestimmten Bereichen zu vergleichen. Die Suche nach Autorenhomepages gestaltet sich zum Teil schwierig, weil man bei der großen Menge an deutschsprachigen Autor/innen schwer beurteilen kann, wie eine sinnvolle Auswahl zu treffen ist. Wir haben uns für eine Menge von ca. 100 Autorenhomepages entschieden, da dies eine überschaubare und doch repräsentative Anzahl darstellt. Dank unserer Partner (Nationalbibliotheken, Literatur-Archive, Literaturhäuser) haben wir schon eine umfangreiche Liste zusammengestellt, die als Grundlage unserer Auswahl dient. Wichtig für die Auswahl der Autorenhomepages ist es, den aktuellen Literaturbetrieb wiederzugeben. Daher richten wir uns bei der Auswahl auch nach dem Bekanntheitsgrad von Autor/innen bzw. ihrem Stellenwert im Literaturbetrieb. Da wir aber auch ein breites Spektrum an Autorenhomepages abdecken und aufzeigen wollen, was eine Autorenhomepage sein kann und was sie alles beinhalten kann, werden auch besonders hervorstechende Websites von Autor/innen ausgewählt, die durch ihre speziellen Inhalte und Kommunikationsstrategien oder durch eine ausgefallene graphische Präsentation von Relevanz sind. Auch Verlage erstellen für bestimmte Autor/innen eigene Websites, teilweise mit einer großen Menge an Inhalten. Exemplarisch werden auch einige derartige Beispiele in die Sammlung mit aufgenommen. Diese breite Fächerung soll dazu beitragen, eine Vorab-Kanonisierung zu vermeiden. Es soll auch nicht die Qualität einer Homepage bewertet („Was ist eine gute Homepage?“), sondern das breite Spektrum dieser Gattung vorgestellt und zur näheren Untersuchung bereitgehalten werden.
In der wissenschaftlichen Beschreibung sollen allerdings auch jüngere Varianten der Internetpräsenz von Autor/innen berücksichtigt werden. Hier spielen etwa auch Blogs eine Rolle. Allerdings ist bei dieser Form des Internetauftritts noch zu diskutieren, inwieweit man sie zur Gattung der Autorenhomepages zählen kann. Deshalb haben wir uns dazu entschlossen, nur jene Blogs in unsere Forschung mit aufzunehmen, die neben den Blogeinträgen auch Informationen zum Autor/zur Autorin bereitstellen und so die Funktion einer Autorenhomepage übernehmen. Weiters werden Soziale Netzwerke mit einbezogen. So werden beispielsweise öffentlich zugängliche Facebook-Seiten berücksichtigt, deren Inhalte die Autor/innen selbst bestimmen, die eigenständige Inhalte aufweisen und die so ebenfalls Funktionen einer Autorenhomepage übernehmen.
Alleine durch den bis jetzt gewonnenen ersten Eindruck ist zu erkennen, dass manche Autor/innen eine große Vielfalt an Informationen auf ihren Homepages bereitstellen, andere wiederum nur (Kurz-) Biographie und Bibliographie. Manche Websites stechen durch ein markanteres Design hervor, andere durch die Menge an selbstgeschriebenen Texten, die präsentiert werden. Andere wieder haben eine sehr ausgebaute „Ecke“ über die eigene Rezeption eingerichtet und veröffentlichen auf ihrer Website zum Teil auch Rezensionen zu den eigenen Büchern im Volltext.
Durch die Archivierung eines repräsentativen Korpus von Autorenhomepages ist eine systematische Analyse möglich, die nicht nur die jeweilige Homepage zu einem bestimmten Zeitpunkt beschreibt, sondern auch Veränderungen mit einbezieht. In diesem Zusammenhang soll auch die Frage beantwortet werden, welche aktuellen Tendenzen in diesem Bereich zu erkennen sind. So wird eine wissenschaftliche Grundlage für weitere Forschungen geschaffen.
Das gesicherte Quellenmaterial wird z.B. für dokumentarische und archivarische Institutionen wie Literaturarchive, Literaturhäuser und Bibliotheken sowie für Universitäten nutzbar sein. In diesem Zusammenhang wurden bereits Kooperationen mit dem Literaturhaus Wien, dem Deutschen Literaturarchiv Marbach und dem Centre national de littérature in Mersch vereinbart, da diese drei Archive zukünftig ebenfalls planen, Autorenhomepages im Rahmen ihres Sammelkonzepts zu berücksichtigen.
Das Internet als Plattform für Autoren
Die Rahmenbedingungen des literarischen Publizierens haben sich – nicht zuletzt durch das Internet –in den letzten zehn bis zwanzig Jahren wesentlich verändert. So gibt es nun die Möglichkeit, Texte ohne Verlag und Druckkosten digital zu veröffentlichen. Heute muss sich ein Autor/eine Autorin nicht mehr mit HTML auskennen. Es gibt Anbieter, die die technische Infrastruktur zur Verfügung stellen. Content Management Systeme (CMS) ermöglichen es, Texte mittels eines Web-Editors zu erstellen bzw. zu bearbeiten, von dem die HTML-Programmierung automatisch generiert wird. Aber auch Blog-Software oder Twitter bieten den Autor/innen die Möglichkeit, Texte problemlos auf der eigenen Homepage zu veröffentlichen. Dass die Nutzung des Internets inzwischen zu einer Selbstverständlichkeit geworden ist, zeigt sich etwa darin, dass sich mittlerweile auch renommierte Autor/innen der älteren Generation auf einer Homepage präsentieren. Allerdings wird die Erstellung von Homepages für renommierte Autor/innen oft meist von Verlagen übernommen.
Durch die Verwendung von Hypertext [1] sind neue literarische Formen entstanden, die seit ihrem Auftreten in den 1990er Jahren mit unterschiedlichen Begriffen wie „digitale Literatur“ oder „Netzliteratur“ bezeichnet werden. [2] Es ist nun möglich, Texte dynamisch durch Programmierung mit einem gewünschten Design, Bildern, Musik usw. zu verbinden. Dieser Aspekt kann für Autorenhomepages interessant sein, allerdings liegt die sogenannte „Netzliteratur“ nicht im Gegenstand-Bereich des Projekts.
Autorenhomepages – z. B. Elfriede Jelinek
„Autoren“ – so Kerstin Paulsen – „sind, dies ist ein Faktum, im WWW aktiv und präsent. Denn mit diesem neuen Medium eröffnet sich ihnen ein weites, teils aber auch unübersichtliches Spektrum an Optionen zur Selbstinszenierung und persönlichen Entfaltung.“ [3] Gerade diese Vielfalt der Präsentationsmöglichkeiten im Internet ist für die wissenschaftliche Forschung besonders interessant. Ein Beispiel ist die Homepage von Elfriede Jelinek .
Elfriede Jelinek betreibt seit 1996 eine eigene Internetseite, auf der sie unter anderem Kommentare zu politischen Themen sowie literarische Texte veröffentlicht. Die Homepage ist vom Design her eher einfach gehalten. Die zurückhaltende Gestaltung stellt die Texte ohne weitere Ablenkung in den Mittelpunkt. Doch das Bild auf der Startseite wirkt schon etwas irritierend. In einem seifenblasenähnlichen Plastiksessel sitzen drei Stoffbären. Hinten rechts ist ganz klein eine Person zu erkennen, vermutlich die Autorin, die an einen Schreibtisch gelehnt in einem Zimmer, wohl einem Arbeitszimmer, steht. Vor kurzem war noch ein anderes Foto auf der Startseite zu sehen. Ein Foto der Autorin, nicht ganz bis zur Hüfte. Sie trug ein verwaschenes Poloshirt und blickte aus einem Fenster, hinter ihr ein Bücherregal. Am linken Bildschirmrand befindet sich das Menü, das aus mehreren Kästchen besteht. Die Schrift des Menüs ist rot und erinnert an handschriftliche Blockbuchstaben. Ganz oben findet sich der Menüpunkt „Elfriedes Fotoalbum“, der sich hinsichtlich der Schrift abhebt. Sie besteht aus Buchstaben, die wie mit Hand ausgemalt wirken. Hinter den verschiedenen Menüpunkten finden sich politische Kommentare, Theatertexte, ein Roman, Bilder, Nachrufe, Erinnerungen, Texte über Musik und Kino sowie zu den Themen Kunst und Österreich. Wenn man ganz nach unten scrollt, findet man einen Zähler, der zeigt, wie viele Personen die Seite besucht haben. Dort werden auch die wichtigsten Daten zur Homepage genannt, wie etwa: „[...] Besucher seit dem 1.2.1998. Homepage erstellt am 4.5.1996, zuletzt aktualisiert am 1.1.2012.“ [4]
Vor allem Jelineks Kommentare zu politischen Themen werden immer wieder in den Medien aufgegriffen. Manche der auf der Website veröffentlichten Kommentare sind nur auf der Homepage zu finden, andere wurden zuvor in Zeitungen oder Zeitschriften abgedruckt. Auch Jelineks Protest gegen die „Schwarz-Blaue-Regierung“ unter Bundeskanzler Schüssel und ihre Reden auf Anti-Rassismus-Kundgebungen wurden von der Öffentlichkeit wahrgenommen und sind nun auf ihrer Homepage dokumentiert. Jüngst kommentierte sie unter anderem die Bestellung des „Kleinen Niko“ als rechte Hand des ORF-Chefs Wrabetz, die in der österreichischen Medienlandschaft für großes Aufsehen sorgte. Bei Publikationen dieser Art wird die emotionale Note häufig mit Bildern der relevanten Person oder von Zeitungssauschnitten unterstrichen.
Aber nicht nur politische Kommentare werden von Elfriede Jelinek auf ihrer Homepage veröffentlicht, sie hat sich auch dafür entschieden, einen ganzen Roman dort, und zwar nur dort zu veröffentlichen. Er soll nicht als Buch in einem Verlag erscheinen. Der Roman trägt den Titel Neid mit der Gattungsbezeichnung Privatroman . In einem Interview mit der FAZ antwortete die Autorin auf eine Frage nach dieser Bezeichnung: „Das bedeutet, dass der Roman nur privat erscheint, sozusagen im Selbstverlag, aber auch, dass, umgekehrt, mehr Privates in den Text einfließt als sonst.“ Diese Einschätzung scheint durch den Roman bestätigt zu werden, doch wie viel Privates hier oder auch in andere Texte, Interviews usw. wirklich einfließt, ist schwer zu beurteilen. So meint etwa Sigrid Löffler:
„Immer wenn die Jelinek ‚Ich‘ sagt, arbeitet sie zugleich an ihrer medienkompatiblen ‚Ich‘-Legende. [...] Man muss also ihre Strategien der öffentlichen Selbststilisierung und Selbstvergrößerung ebenso in Betracht ziehen wie ihr hoch entwickeltes Kalkül einer medienspezifischen Form der Ironie und Selbstironie. Dann wird man auch ihre Selbstoffenbarungen im Interview mit Vorbehalt lesen.“ [5]
Die Publikation des Romans im WWW hat auch Auswirkungen auf seine Form. Es handelt sich zwar um einen linearen Prosatext und nicht um Netzliteratur, aber man kann Strategien erkennen, die dem Leser/der Leserin die Rezeption im Internet erleichtern und die Möglichkeiten des Mediums nutzen. Um das Lesen am Bildschirm zu vereinfachen, wurde der Roman in fünf Kapitel, teilweise auch in Unterkapitel, sowie in „Seiten“ unterteilt. Über ein Menü gelangt man auf die Internetseite des jeweiligen Kapitels bzw. Unterkapitels, wo jeder Textabschnitt mit „Seitenzahlen“ versehen ist. Hier kann man sich durch Scrollen weiterbewegen, man kann aber auch durch das Anklicken von „Seitenzahlen“ in einer Liste an die gewünschte Stelle der Internetseite springen.
Die Homepage stellt für die Autorin eine zusätzliche Möglichkeit dar, sich ihrem Publikum in der von ihr gewünschten Weise zu präsentieren, mit ihren Texten zu provozieren oder auch Kommentare zu ihr wichtigen Themen abzugeben; zugleich eröffnet die Autorin durch ihre Selbstinszenierung verschiedene Wirkungs- und Deutungsmöglichkeiten.
Elisabeth Sporer, 12.03.2012
[1] Vgl. Uwe Wirth: Literatur im Internet. Oder: Wen kümmert`s, wer liest, in: Sefan Münker; Alexander Roeler [Hrsg.]: Mythos Internet, Frankfurt a. M. 2010, S. 319 f.
[2] Zur Entwicklung des Genres und der Terminologie vgl. Florian Hartling: Der digitale Autor. Autorschaft im Zeitalter des Internets, Bielefeld 2009. Hartling definiert den Terminus Netzliteratur wie folgt: „Im Gegensatz zur Literatur im Netz macht Netzliteratur Gebrauch von den kommunikativen, sozialen und technischen Möglichkeiten des Internets. Software und Hardware des Computers sowie netzspezifische Techniken und Kommunikationsmuster des Internets werden dabei als Stilmittel zur Textproduktion eingesetzt: Animationen, Sound, Interaktivität, kollaboratives Schreiben, usw.“ (S. 46).
[3] Kerstin Paulsen: Inszenierung von Autoren und Autorschaft im Internet, in: Christine Künzel; Jörg Schönert [Hrsg.]: Autorinszenierungen. Autorschaft und literarisches Werk im Kontext der Medien. Würzburg 2007, S. 258.
[4] Homepage Elfriede Jelinek ,letzter Zugriff: 6.3.2012.
[5] Sigrid Löffler: Die Masken der Elfriede Jelinek. In: Heinz Ludwig Arnold [Hrsg.]: Elfriede Jelinek. München: Ed. Text + Kritik, 2007. (Text + Kritik, Bd. 117), S. 5f.