Krass, Stefan: Der Rezensionsautomat. Kleine Betriebsanleitung für Kritiker und Leser. München: Fink, 2011. 153 S. (Schriftenreihe der HFG Karlsruhe, Neue Folge, Bd.7). ISBN 978-3-7705-5084-5. Preis [A]: € 16,90

 

"Mit dem Rezensionsautomaten CENSEO, der an der Hochschule für Gestaltung Karlsruhe entwickelt wurde, steht erstmals ein Modus der Literaturkritik zu Verfügung, der allein auf dem Verfahren automatisierter Texterzeugung beruht. Dafür wurden zahlreiche Rezensionen aus der von M. Reich-Ranicki herausgegebenen Frankfurter Anthologie ausgewertet. Anlass genug, das Rezensionswesen anhand einiger signifikanter Fälle etwas genauer zu betrachten."

Die Rezensentin eines Buches, das sich mit Stehgreifformulierungen uninspirierter und überkandidelter Literaturkritiker auseinandersetzt und auf einem Projekt aufbaut, das selbige durch eine Maschine, einen "Rezensionsautomaten" ersetzt, hat es naturgemäß schwer. Daher eines gleich vorneweg:

a)  Das Buch wurde gelesen, vollständig, gründlich und ohne, wie im Kapitel „Lesesucht, Literaturkritik und Gesellschaftspathologie“ festgestellt wird, langweilige Passagen zu überfliegen oder gar auszulassen.

b)  Die Verfasserin hat sich redlich bemüht, austauschbare und hohle Phrasen zu vermeiden sowie in selbstdarstellerischer Absicht generierte, jedoch überflüssige und nichtssagende Formulierungsexzesse auf ein erträgliches Minimum zu reduzieren.

Man hofft, dass es nicht ohne Ironie gemeint ist, wenn Stefan Krass für sein Projekt CENSEO GENERO, einen Gedichtgenerator mit dazugehörigem Rezensionsautomaten, der als begehbare Installation in Karlsruhe physische Präsenz erhielt, den Anspruch stellt, "ein in sich geschlossenes Paradigma des Literaturbetriebs" (S. 13) darzustellen. Ein bitteres Zeugnis wäre das, nicht nur für die Kritik, sondern die Literatur als solche, wären Apparate in der Lage, die humanen Generatoren von Literatur und sekundären Texten zu ersetzen. Hunderte von Kritiken aus der von Reich-Ranicki herausgegebenen Frankfurter Anthologie wurden "systematisch auf Sentenzen durchgeforstet, die auch außerhalb ihres semantischen Umfelds funktionieren, eine evidente Aussage enthalten und anschlussfähig für Sätze mit ähnlichem Profil sein müssen". (S. 14) Diese wurden anschließend in einem Pool gesammelt und ergeben dann als Remix eine Kritik, intentionslos und willkürlich. Das dazugehörige Gedicht wird erst später generiert, was als Hinweis auf die überhandnehmende Zahl von Kritiken in Relation zu Primärtexten zu verstehen ist. Literaturkritik als Aneinanderreihung von allgemeingütigen und daher eigentlich überflüssigen Versatzstücken, das scheint uns dieses Projekt sagen zu wollen.

Als geistigen Vater der Maschine führt Krass keinen geringeren als Jean Paul ins Feld, dessen Erzählung Der Maschinenmann nebst seinen Eigenschaften schon 1789 von der Erfindung einer Sprach-, Komponier- bis zur Bet- und Duelliermaschine träumt. Nur eine Rezensionsmaschine, die hat eben noch gefehlt, eine Lücke, die mit CENSEO GENERO geschlossen werden soll.

Nun stellt sich neben der Frage nach der Sinnhaftigkeit und Aussagekraft des Projektes auch jene nach der Qualität des Begleitbuches, das Krass drei Jahre nach der ersten Präsentation seines Automaten vorlegt,also die Frage, ob das Buch seiner Ambition, den Literaturbetrieb modelhaft abbilden zu wollen, Gerechtigkeit zu verschaffen vermag. Leerformeln und Nullsätze, "Sätze, deren performatives Potential höher ist als ihr Aussagewert", "Sätze, die schmerzfrei, arbiträr und schlussfähig sind", (S. 23) möchte Kraus mit seinem Apparat bloßstellen, und wie die Textprobe einer so generierten Rezension samt zugehörigem Gedicht zeigt, gelingt ihm das vortrefflich. Die Krux an der Operation muss Krass selbst eingestehen, nämlich dass Sprache ohne allgemeingültige, unspezifische Versatzstücke nicht auskommt, denn: "Nicht jeder Satz kann als exklusive Schlüsselsentenz daher kommen". (S. 24) Diesen Umstand sieht er indes nicht als Entschuldigung für das Ausmaß an Worthülsen, das von so hochkarätigen Rezensenten, über welche die Frankfurter Anthologie zweifellos verfügt, erzeugt wird.

Krass geht weiter als nur die Funktionsweise seines Automaten zu erläutern und die allgemeine Unverbindlichkeit zeitgenössischer Literaturkritik anzuprangern. So lässt er sich gemeinsam mit Michel Chaouli auf ein Gedankenexperiment ein, das die Kriterien für Literatur von seinem Trägermedium, dem gedruckten Buch, löst und eine Maschine ersinnt, die den Leser vom passiven Rezipienten in die Position eines Remixers katapultiert, eine Überlegung, die im Angesicht aktueller Umbrüche im Literaturbetrieb, unter anderem durch die sich verändernden Rezeptionsbedingungen, -möglichkeiten und -gewohnheiten, nicht nur angemessen, sondern unumgänglich erscheint. Und plötzlich gelingt es Krass tatsächlich, ein paradigmatisches Bild zu entwerfen, dem es auch nicht an Visionen mangelt. Der Rezensionsautomat wird zur Folie, vor der prinzipielle Fragen der Literatur und ihrer Institutionen verhandelt werden, etwa ob es die Aufgabe der Kritik sein kann und soll, Literatur zu verbessern. So erscheint Stephan Krass’ Buch, um es mit einer von ihm so verhassten, austauschbaren Worthülse auszudrücken, durchaus lesenswert. Schiller und Goethe, Benn und Becher, Gesellschaftspathologie und Laienkritik im Netz, alles kommt da einmal zur Sprache.

Krass versucht ein Panorama der Literaturkritik zu entwerfen, doch verfolgt er dabei zu viele Fäden, die sich zu keinem Ganzen fügen wollen, so dass er sich daher den Vorwurf gefallen lassen muss, dass der Aufbau seines Textes selbst etwas willkürlich zusammengewürfelt wirkt und er sich an der Anschlussfähigkeit der Censeo-Textbausteine durchaus ein Vorbild hätte nehmen können. Amüsant ist der Rezensions-Baukasten am Schluss, der eine "Auswahl signifikanter Eingabesätze zum Selber-Sampeln" (S. 137) bereitstellt. Ein Glück für Krass, dass diese nur auf Gedichte anzuwenden sind, sonst würde eine Rezension zu seinem Buch möglicherweise so aussehen:

Schön und gut – denkt man: was für eine trefflich scholastische Ideen-Pyramide. Wird ein solcher Versuch die unterbrochene oder gar gestörte Kommunikation retten? Angesichts dieses Zustandes gibt es zwei weltliche Verlockungen: mitzuheulen oder auszusteigen. Manchmal lässt sich die trostlose Wahrheit unserer genetisch bedingten Beschränktheit nicht wunschgemäß verheimlichen.

Veronika Schuchter , 29.4.2011

Veronika.Schuchter@uibk.ac.at