Daniela Strigl: Alles muss man selber machen. Biographie. Kritik. Essay. Graz: Droschl 2018. (Zur Kunst des Schreibens, Bd. 1). ISBN 9783990590126 S. 152 S. Preis [A]: 15,00 €

 

In der letzten Ausgabe von literaturkritik.at wurde an dieser Stelle Margaret Atwoods Essayband Aus Neugier und Leidenschaft besprochen. Darin gibt die Schriftstellerin Atwood Auskunft über ihr Selbstverständnis als Kritikerin, das eigentlich gar kein Selbstverständnis, sondern eher das Gegenteil ist, ein Unwohlsein in der ungewollten Rolle als ästhetische Richterin, weshalb sie das wohlwollende, durchwegs kollegiale Lob bevorzugt und sich sowohl von der journalistischen als auch der akademischen Kritik abgrenzt. Dieses Mal wird ein Blick auf das Kritikverständnis einer Kritikerin geworfen, die die beiden von Atwood mit Argwohn betrachteten Formen der Kritik verkörpert, als Literaturwissenschaftlerin aber vor allem die akademisch beeinflusste Literaturkritik. „Was ich hier tue, kostet mich Überwindung. Ich bin es nicht gewohnt, über mich zu sprechen, statt über eine Sache, die meistens die Literatur ist“ (S. 5). So begann Daniela Strigl ihre 2017 an der Universität Graz gehaltene Poetikvorlesung, die 2018 bei Droschl unter dem Titel Alles muss man selber machen erschienen ist. In Wirklichkeit macht sie natürlich beides: Indem sie von sich selbst erzählt, spricht sie über die Literatur. Das lässt sich ohnehin schwer trennen: Wer sich programmatisch zur Literaturkritik äußert, gibt immer auch etwas von sich selbst preis, schon im Akt des Wertens selbst ist unweigerlich ein Akt der persönlichen Offenbarung enthalten. Der Band ist eine Art professionelle Biographie, in der bei Strigl drei Bereiche dominieren, die Biographie, die Kritik und der Essay. Jeder Teil besteht aus dem ursprünglichen Vortragstext, aus Textbeispielen und Auszügen aus den Diskussionen Auch wenn ich hier wieder den Fokus auf den Bereich der Kritik lege, seien angehenden BiographInnen die Gedanken der Marie-von-Ebner Eschenbach- und Marlen-Haushofer-Biographin ans Herz gelegt. Wie auch in den anderen beiden Teilen verknüpft Strigl theoretische Ansätze, Anekdotisches und Beispiele aus der eigenen Arbeitspraxis auf unterhaltsame und gleichzeitig substanzielle Weise.

 

Verteidigung der Literatur

Wo Atwood sich von den eigenen Interessen leiten lässt und weder ihre noch die Zeit ihrer RezipientInnen mit dem Schreiben über schlechte Literatur verschwenden will, begibt sich Strigl in die Rolle einer Verteidigerin der Literatur, und zwar eine, die auch mal auf Angriff geht. Dabei scheut sie sich auch nicht, KollegInnen zu kritisieren und beim Namen zu nennen, wie etwa bei der im Buch exemplarisch geschilderten Debatte um André Hellers Debütroman Das Buch vom Süden , das Strigl und einige andere verrissen haben, was einigen ProtagonistInnen des österreichischen Kulturbetriebs und Heller-Fans seinerzeit sauer aufstieß. So macht man sich natürlich nicht nur Freunde, was für Strigl vermutlich eine Adelung darstellt. „Im medialen Chor des Einverständnisses fehlen heute oft ernsthafte Gegenstimmen“ (S. 106). Angepasstheit kann man Daniela Strigl mit Sicherheit nicht vorhalten, auch bei ihrem Rückzug aus der Jury des Bachmann-Preises 2014 hielt sie mit Kritik an der Vorgehensweise des ORF bei der Vergabe des Vorsitzes nach dem Ausscheiden von Burkard Spinnen nicht hinterm Berg. Die Verluste bleiben nach diesem Streit letztendlich beim Bachmann-Wettbewerb hängen, denn Strigl hatte nicht nur interessante Texte und AutorInnen nach Klagenfurt gebracht, ihre trockene und sachliche Art unterschied sie auch angenehm von so manchem selbstverliebten Monolog anderer Juroren. Das fiele wohl auch unter das, was Strigl nonchalant als „stilistische Selbstbefriedigung“ geißelt. Wie sie das beschreibt, zeigt ihre eigene stilistische Stärke:

„Die Kreativität des Kritikers ist überhaupt ein heikles Kapitel. Es gab und gibt Rezensenten, die ihrem Witz, ihrem Drang zum Originellen die Zügel schießen lassen und ihrer Sprache die akrobatischsten Verrenkungen gestatten, sodass die Kritik zum reinen Selbstzweck wird und über ihren Gegenstand behende hinwegturnt“ (S. 59).

Die sprachliche Ästhetin Strigl turnt aber auch, so viel darf man festhalten, schön am Platz, schließlich soll die Leserin nicht gelangweilt werden. Die Leserin kann im Übrigen auch ein Leser sein, das bringt uns zum Glück der Kritik in vierzehn Thesen , deren XIV. Punkt da lautet: „Der Kritiker kann auch eine Kritikerin sein.“ Das müsste man nicht extra sagen, wenn man es nicht extra sagen müsste. Muss man aber. Da erstaunt es etwas, dass Strigl zwar „Sprachkritik als demokratische Geistesschärfung“ versteht, die „die gesunde Skepsis gegen das gesunde Volksempfinden“ (S. 130) nährt, sie eine Seite später aber durchwegs polemisch „die Gendermania“ als „Vergötzung der äußeren Form“ schilt und eine geschlechtergerechte Sprache, die ja nichts anderes als Sprachkritik ist, als „undemokratische Neigung, den Prozess der Sprachentwicklung gleichsam von oben zu steuern“ kritisiert.

 

Moral der Kritik

Für Strigl ist die Literaturkritik nicht nur eine ästhetische, sondern auch eine ethische Angelegenheit. Auch wenn sie ein grundsätzliches Wohlwollen an den Tag legt, scheut sie vor dem Verriss nicht zurück, im Gegenteil, am Verriss führt in Strigls Auffassung von Kritik kein Weg vorbei – man muss nur wissen, was es verdient hat, verrissen zu werden und zwar im Dienst der Literatur, nie aber zur Profilierung des Kritikers/der Kritikerin. Ein Debüt zu verreißen käme für Strigl etwa niemals in Frage, wozu auch, nur einer, der sich seine Lorbeeren schon verdient hat, ist geeignet als Sparring-Partner in der ästhetischen Auseinandersetzung um Qualitätsmaßstäbe in der Literatur:

„Der in der Sache begründete Verriss ist auch ein Protest gegen die herrschende Kultur des lauwarmen Einverständnisses. Wenn alles irgendwie ganz gut ist, dann heißt das, dass die wirklich herausragenden Leistungen nicht mehr als herausragend wahrgenommen werden. Das wohlfeile Lob des Mittelmaßes ist ungerecht vor allem gegen das grandios Gelungene“ (S. 57f.).

Darum geht es ihr eben auch: Dem Buch gerecht zu werden, und gleichzeitig Anwältin der Literatur zu sein, was die Gefahr birgt, manchmal als elitäre Torhüterin wahrgenommen zu werden. Was Strigl über die von ihr bewunderte Sigrid Löffler schreibt, trifft ohne Abstriche auf sie selbst zu:

„Meine Bewunderung war nicht auf eine totale Übereinstimmung unserer literarischen Ansichten gegründet (zum Beispiel wollte ich Sigrid Löfflers Verdikt gegen Thomas Bernhard nie teilen), meine Bewunderung galt einer Auffassung von Kritik, die das zu kritisierende Werk mit Respekt, aber stets selbstbewusst, ja souverän zerlegt und neu zusammensetzt, einer Kritik, die aufräumt im Kopf wie auf dem Papier und die sich in ihrer Form genauso des eisernen Besens zu bedienen weiß wie der feinen Klinge“ (S. 55).

Man muss auch mit Strigls Urteil nicht zwangsläufig übereinstimmen, um dennoch danach einen klareren Blick auf ein Werk zu bekommen, weil die Art und Weise ihrer immer auch analytischen Wertung wie eine Art Bauanleitung fungiert, deren Feinheiten einem sonst verborgen bleiben. Verlegenheitskritiken kommen bei ihr nicht vor (oder sie kaschiert sie so gut, dass es einem nicht auffällt). Gemäß dem vorangestellten Lichtenberg-Zitat „Ob ich gleich weiß, daß sehr viele Rezensenten die Bücher nicht lesen, die sie so musterhaft rezensieren, so sehe ich doch nicht ein, was es schaden kann, wenn man das Buch liest, das man rezensieren soll.“ (S. 47), liest Strigl die Bücher, die sie rezensiert, erfreulicherweise, und sie liest sie genau. Die akademische und die journalistische Kritik, um bei der von Atwood verwendeten Begrifflichkeit zu bleiben, harmonieren in Strigls Rezensionen perfekt miteinander. Sie liefert knappe Interpretationen, ohne sich in hermeneutischer Geschwätzigkeit zu verlieren, sie ordnet ein, stellt Bezüge her und nachher ist man klüger als vorher. Und, von nicht zu unterschätzender Bedeutung, sie gibt eine klare Meinung ab, lauwarme Ausweichmanöver, bei denen man ratlos zurückbleibt, wie der Kritiker/die Kritikerin das Buch denn nun gefunden hat, gehören nicht zu ihrem Repertoire.

Ein Blick auf Strigls Rezensionsliste untermauert ihre Vorliebe für deutschsprachige Literatur: Von renommierten AutorInnen wie Joseph Winkler, Karen Duve, Sabine Gruber und Arno Geiger über Debüts wie Marie Gamillschegs Alles was glänzt bis hin zu Geheimtipps wie Daniela Emminger ist alles dabei. Internationale Literatur hingegen findet sich kaum. Die österreichische Literatur im deutschsprachigen Literaturbetrieb zu vertreten, ist für sie eine Form der engagierten Kritik:

„Mir ist Missionarisches durchaus nicht fremd. Wenn es sein muss: Patriotisch-Missionarisches. Es gibt unsichtbare Schranken zwischen den Literaturländern deutscher Zunge, da wie dort kaum bewusst. Debuts werden übersehen, Erfolge auch. Wer da berühmt ist, lockt dort keinen aus dem Ohrensessel. Und vice versa, der Mensch ist faul, der Kritiker ist faul. Die Mühen der Pfadfinderei, des Entdeckens werden durch den Lorbeer der Pioniertat nur allzu selten aufgewogen“ (S. 61).

Strigl ist als Rezensentin uneitel, aber nicht ohne Selbstbewusstsein. Das klingt nach Gemeinplatz, aber wer Strigls Kritiken liest, und die Rezensentin hat über 100 davon am Stück gelesen, der merkt, dass ihr ein seltenes Kunststück gelingt: originär und wiedererkennbar zu schreiben, ohne sich in den Vordergrund zu drängen. Ganz anders ist im Übrigen ihr essayistischer Stil, in dem sie viel präsenter auftritt, was ihrem Credo entspricht, den Essay als Medium der Empörung zu verwenden (vgl. S. 106f.). Für beide Textsorten braucht man „ein gewisses Maß an Anmaßung“: „Man muss zumindest das, was man sagt, für irgendwie erheblich oder relevant halten, und sei es auch nur für einen kleinen Teil des Publikums“ (S. 135). Mit Alles muss man selber machen hat  Daniela Strigl unter Beweis gestellt, dass es sich lohnt, ihr zuzuhören.

 

Veronika Schuchter , 18.01.2019
Veronika.Schuchter@uibk.ac.at