Umberto Eco und Jean-Claude Carrière: Die große Zukunft des Buches. Übers. von Barbara Kleiner. München: Hanser, 2010. 288 S. ISBN 978-3-446-23577-9. Preis [A]: € 20,50.
Seitenweise. Was das Buch ist. Hrsg. Von Thomas Eder, Peter Plener und Samo Kobenter. Wien: Ed. Atelier, 2010. 480 S. ISBN 978-3-902498-33-5. Preis [A]: € 29,90.
„Was hast du lieber: eine Schokolade oder ein Buch?“ – „Ein Buch.“, lautet die selbstverständliche Antwort in Elias Canettis Roman Die Blendung . Es ist gleichzeitig eine wohlüberlegte Antwort, eine sehr kluge noch dazu für einen neunjährigen Jungen. Das Buch bietet ihm längeres Vergnügen als die Schokolade. Das Buch wird für ihn geistiges Naschwerk sein. Es wird ihm mehr Glücksmomente verschaffen als der kurze Schub von Endorphinen, ausgelöst durch den Verzehr der Schokolade. Wenn es ein gutes Buch ist, so kann er sogar ein Leben lang etwas davon haben und behält sozusagen den süßen Nachgeschmack im Kopf.
Das Buch kann also ziemlich viel und ist ziemlich viel. Es ist mehr als ein Block beidseitig gestalteter Blätter zwischen einem Einband. Die beiden Bücher Die große Zukunft des Buches und Seitenweise – Was das Buch ist befassen sich in ihrem vollen Umfang mit dem Buch. Es handelt sich bei der vorliegenden Rezension also um einen Metatext über Metatexte – um eine Buchkritik über zwei Bücher, die davon handeln was das Buch ist, was es war und was es sein wird. Dabei fühlt man sich leicht in Borges’ Erzählung über Die Bibliothek von Babel versetzt, die auch in beiden angesprochenen Werken einige Male genannt wird:
„Wie alle Menschen der Bibliothek bin ich in meiner Jugend gereist; ich habe die Fahrt nach einem Buch angetreten, vielleicht dem Katalog der Kataloge; jetzt können meine Augen kaum mehr entziffern, was ich schreibe; ich bin im Begriff, nur ein paar Meilen von dem Sechseck, wo ich geboren ward, zu sterben. Wenn ich tot bin, wird es nicht an mitleidigen Händen fehlen, die mich über das Geländer werfen werden; mein Grab wird die unauslotbare Luft sein; mein Leib wird immer tiefer sinken und sich in dem von dem Sturz verursachten Fallwind zersetzen und auflösen. Ich behaupte, daß die Bibliothek kein Ende hat. Die Idealisten argumentieren, daß die sechseckigen Säle eine notwendige Form des absoluten Raumes sind, oder zumindest unserer Anschauung vom Raum. Sie geben zu bedenken, daß ein dreieckiger oder fünfeckiger Saal unfaßbar ist. (Die Mystiker behaupten, daß die Ekstase ihnen ein kreisförmiges Gemach offenbart, mit einem kreisförmigen Buch, dessen Rücken rund um die Wand läuft; doch ist ihr Zeugnis verdächtig; ihre Worte sind dunkel; dieses zyklische Buch ist Gott.)“
Borges geht also sogar so weit, Gott als Buch zu beschreiben. Nun, dies tun Umberto Eco und Jean-Claude Carrière in ihrem Buch Die große Zukunft des Buches dann doch wieder nicht. Man erfährt beim Lesen jedoch sehr schnell, dass sich hier zwei höchst bibliophile Menschen miteinander unterhalten. Es ist ein intelligentes Buch, bestehend aus Gesprächen zwischen den beiden. Sowohl Eco als auch Carrière sind sich darüber einig, dass das Buch sehr wohl Zukunft hat. Für sie stellt die Erfindung des Buches einen Meilenstein in der Menschheitsgeschichte dar, der selbst durch die multimediale Revolution nicht umzustürzen sein wird. „Das E-Book wird das Buch nicht töten“, schreibt Jean-Philippe de Tonnac, der die Gespräche zwischen Eco und Carrière zuweilen kommentiert, im Vorwort (S. 5). Umberto Eco selbst stellt recht pragmatisch fest: „Das Buch ist wie der Löffel, der Hammer, das Rad oder die Schere: Sind diese Dinge erst einmal erfunden, lässt sich Besseres nicht mehr machen. An einem Löffel gibt es nichts zu verbessern.“ (S. 14)
Im weiteren Verlauf ihrer Gespräche weisen die beiden Herren dem Buch jedoch immer mehr menschliche Eigenschaften zu. Es steht dann für Beständigkeit, Schutz, Beistand und Trost, Freude und auch Leid. Dem widerspräche dann aber der Klappentext des Buches, in dem es heißt: „Für alle, die das Buch als Gegenstand lieben.“ Aber gerade das ist es eben nicht, oder nicht nur. Umberto Eco und Jean-Claude Carrière sprechen vor allem darüber, dass das Buch über das hinausgeht, was es zum reinen Gegenstand macht.
Umberto Ecos und Jean-Claude Carrières Gespräche mit Jean-Philippe de Tonnac: Die große Zukunft des Buches , übersetzt von Barbara Kleiner und erschienen im Hanser Verlag, ist ein Buch, das einem die Möglichkeit bietet, an den Gesprächen von zwei klugen Männern teilzuhaben. Manchmal neigen die beiden Herren jedoch zu Übertreibungen und vor allem Jean-Claude Carrière hält seinen Lesern sein großes Wissen gern unter die Nase – das müsste nicht sein.
Seitenweise – Was das Buch ist , herausgegeben von Thomas Eder, Samo Kobenter und Peter Plener, erschienen in der Edition Atelier , enthält eine Menge Meinungen und Aussagen zum Thema. Im Vorwort des Sammelbandes heißt es: „Denn am besten wird man dem Buch, so die These, dadurch gerecht, dass man variantenreich darüber nachdenkt und von ihm erzählt“. (S. 10).
Dieser Variantenreichtum bleibt kein leeres Vorwortversprechen. Der Band bricht dem Buch auf verschiedenste Art und Weise eine Lanze, 33-mal, seitenweise. Manchmal versteigen sich die Autoren und Herausgeber des Bandes jedoch zu wenig nachvollziehbaren Definitionen und Anspielungen über den Untergang der Buchkultur, der doch wohl keineswegs vorhersehbar ist und selbst in einigen Aufsätzen widerlegt wird: „Es wird mehr geschrieben als je zuvor. Es wird mehr gelesen als je zuvor.“ (Ernst Strouhal: Blättern. Rückblick voraus auf Raymond Queneaus „Hunderttausend Milliarden Gedichte “, S. 145).
Ein Unwort innerhalb des Sammelbandes scheint mir ‚E-Book‘ zu sein. In fast jedem Aufsatz fällt dieser Begriff, selten mit positiven Konnotationen. Irgendwie wirkt es bedrohlich auf sämtliche Buchliebhaber und doch, oder gerade deshalb wird es immer wieder lächerlich gemacht. Stichwort Kriegsbeute: Hätten die Russen aus Leipzig auch E-Books mitgenommen nach Moskau?
Zu all den angsteinflößenden Aussichten macht Benedikt Föger in seinem Aufsatz Verblassen die dunklen Buchstaben auf weißem Papier? Die neuen Medien und Buchverlage eine gelungene Bemerkung: „In Wahrheit“, schreibt er, „geht es uns darum, dass die Menschen unsere Bücher lesen. In welcher Form sie das tun, sollte uns egal sein.“ (S. 419). Walter Bohatsch meint dazu in seinem Beitrag Inhaltsraum Buch : „Die Entwicklung der elektronischen Medien hat nicht zum Verschwinden des Buches geführt, sondern eine Neuorientierung bewirkt.“ (S. 38).
Also: der Bildschirm ist flach, er ist eine Scheibe, wird uns allerdings als die Welt verkauft. Bleiben wir doch lieber dreidimensional, bleiben wir beim Buch.
Spätestens beim Lesen von Werner Michlers Aufsatz über utopische Bücher ( Utopie des Buches und Bücher der Utopie , S. 119) wird einem klar, dass man in Büchern alles kann. Dass jeder alles denken und schreiben kann, dass Bücher der Ort größtmöglicher Freiheit sind. Man öffnet ein Buch und betritt dadurch einen Raum (vgl. Walter Bohatsch: Inhaltsraum Buch , S. 32), womit wir wieder bei Borges wären. Es geht eben darum, sich auf die Welt der Bücher einzulassen, einzutauchen in die Gedankenwelt eines anderen. Nicht jeder tut das, nicht jedem fällt ein solcher Zugang leicht. Das erkennt man am besten daran, wie wenig abgegriffen die Bücher bei manchen in den Regalen stehen und wie abgenutzt im Gegensatz dazu die Fernbedienungen der Fernsehgeräte sind (vgl. Ernst Strouhal: Blättern , S. 134).
Dass man das Ganze weniger schwarz und auch mit etwas Humor sehen kann, zeigt der Aufsatz von Michael Rohrwasser. Er führt in seinem Kleinen Lexikon der anderen Verwendungsformen des Buches (S. 53–78) die etwas eigentümlichen Anekdoten zum Thema Buch an. So erwähnt er z.B. ein Bücherklosett oder das Buch in Verwendung als reiner Blattbeschwerer. Solche Geschichten sollte man sich nicht entgehen lassen und für ‚Büchernerds‘ ist Seitenweise – Was das Buch ist ein absolutes Muss.
Am Ende meiner Lektüre der 33 Aufsätze über das Buch drängt sich folgender Schluss auf: Ein Buch ist ein bisschen wie das Wetter. Es ist real vorhanden, allgegenwärtig, offensichtlich und es gibt immer verschiedene Meinungen darüber, aber jeder hat eine eigene. Es wird weiterhin Bücher geben – in welcher Form auch immer – es wird gelesen werden und es wird auch geschrieben werden, denn: „Schreiben ist die vollkommene Darstellung von Intelligenz. Wenn sich aber Intellektualität am besten im Schreiben inszeniert, dann ist das Buch, das gedruckte Wort, dafür das ideale Medium. Der Geist sucht sich einen Körper und findet ihn im Buch.“ (Michael Huter: Die Bleiwüste lebt. Vermischte Anachronismen zum Thema Buch und Wissenschaft , S. 428).
Harald Wieser , 15.01.2011