Michele Troy: Die Albatross Connection. Drei Glücksritter und das „Dritte Reich“. Aus dem amerikanischen Englisch von Herwig Engelmann. München: Europa Verlag 2022. 544 S. ISBN 978-3-95890-380-7. Preis [A]: 39,10.

 

The Albatross war ein Verlag, der sich während der NS-Zeit auf Werke der angloamerikanischen Moderne spezialisiert hatte – ein jüdisch finanziertes Unternehmen, das mitten in Nazideutschland englischsprachige Taschenbuchausgaben für ganz Kontinentaleuropa drucken ließ und dabei auch unter deutschen Lesern hunderttausendfachen Absatz fand. Dass sich beim Blick auf einen solchen Verlag spontan kognitive Dissonanz einstellt, zeigt, dass sich das Bild vom Nationalsozialismus und seiner gleichgeschalteten Kultur wieder einmal komplizierter darstellt, als unser landläufiges Verständnis es vorsieht.

 

Ausländische Moderne – mitten in der NS-Diktatur

 

Schon der Regensburger Germanist Hans Dieter Schäfer hatte in seiner wegweisenden Studie Das gespaltene Bewusstsein (1981/2009) auf das Vorhandensein ausländischer Literatur in der Kultur und Lebenswirklichkeit während der Zeit des Nationalsozialismus hingewiesen. Nicht nur mit Blick auf den Albatross-Verlag hatte Schäfer konstatiert: „Eine Absperrung von der ausländischen Moderne, wie sie nach 1945 für die gesamte Hitler-Ära festgestellt wurde, hat es […] nicht gegeben“ (Schäfer 1981, S. 14).

 

Anknüpfend an Schäfer hat die in Hartford (Connecticut) lehrende Anglistin Michele K. Troy nun eine umfassend recherchierte Verlagsgeschichte des 1932 gegründeten Albatross-Verlags vorgelegt. Wie der Verlag mit dem symbolstarken Logo des Albatros-Vogels und dem Programm einer kosmopolitischen Spannweite mitten in der deutschen Diktatur reüssierte, ist in doppelter Hinsicht aufschlussreich. Erstens können die drei Gründerfiguren des Albatross-Verlags als Pioniere des internationalen Taschenbuchmarkts gelten. Albatross fungierte mit seiner modernen Reihengestaltung, der Taschenbuch-Idee und dem Vogel im Logo als direktes Vorbild der 1935 gestarteten Penguin Books. Zweitens haben die Albatross-Macher mit ihrem Interesse für die angloamerikanische Moderne ein innerhalb der NS-Diktatur überraschendes Programm der Weltoffenheit verfolgt. Die Sonderstellung des im Kontext der NS-Kulturindustrie reichlich unwahrscheinlichen Unternehmens kommt im englischen Titel von Troys Studie („The Strange Bird“) durchaus explizit zum Ausdruck, während der bindestrichlose Titel der deutschen Ausgabe („Die Albatross Connection“) die Thriller-Qualitäten der fesselnd erzählten und kapitelweise fast romanhaft anmutenden Verlagsgeschichte betont.

 

Der Albatross-Markt

 

Albatross richtete sich an europäische Bildungsbürger, die englischsprachige Belletristik während der 1930er und 1940er Jahre im Original lesen wollten, darunter Autoren wie D.H. Lawrence, James Joyce, Virginia Wolf, Ernest Hemingway, Margaret Mitchell, Katherine Mansfield, John Steinbeck u.a. Das Marktsegment mit englischsprachigen Büchern, ursprünglich Klassikern, war durch den Leipziger Verlag Karl Tauchnitz mit der Tauchnitz Collection of British and American Authors 1841 erfunden und jahrzehntelang erfolgreich bespielt worden. Etliche Hotels in ganz Europa verkauften Tauchnitz-Taschenbücher, die ihr Business-Modell auf jedem einzelnen Buchdeckel sichtbar hielten: „Not to be introduced into the British Empire and U.S.A.“ Kaum zu glauben, dass die angloamerikanischen Originalverlage an einer Verbreitung ihrer Bücher außerhalb des eigenen, hochpreisigen Absatzgebietes bis ins 20. Jahrhundert nicht interessiert waren. Vermutlich scheuten sie davor zurück, im staatlich zersplitterten Kontinentaleuropa einen eigenen, teuren Vertrieb für Englischleser aufzubauen. Was für ein Versäumnis! Die vom Tauchnitz-Verlag lancierte Klassiker-Reihe in englischer Sprache und preiswerter Taschenbuchausstattung hatte es in 90 Jahren mit rund 5000 Titeln zu einer Gesamtauflage von 40 Millionen gebracht.

 

An dieser Stelle kommt der 1893 geborene (Max) Christian Wegner in Spiel. Er war der Neffe des legendären Leipziger Insel-Verlegers Anton Kippenberg und darf als Initiator der Ende 1931 im Börsenblatt für den deutschen Buchhandel erstmals annoncierten Albatross Modern Continental Library gelten. Wegner, der 16 Jahre Berufserfahrung bei Kippenbergs Insel-Verlag gesammelt hatte und 1930 Geschäftsführer der Tauchnitz Edition geworden, dort aber rasch (nach nur einem Jahr) wieder entlassen worden war, übernahm das Konzept einer englischsprachigen Taschenbuchreihe für Kontinentaleuropa, indem er es statt auf Klassiker auf angloamerikanische Gegenwartsautoren adaptierte. Zur Ironie der Geschichte gehört der Umstand, dass das Traditionsunternehmen Tauchnitz nur wenige Jahre nach Gründung von Albatross pleiteging und 1935 mit dem neuen Konkurrenzverlag seines einstigen Kurzzeit-Chefs fusionieren musste.

 

Subversion oder Kollaboration?

 

Troys Studie präsentiert sich als anregende Mischung aus Monografie und Biografie. Die Chronik des Albatross-Verlags, der bis zur Bombardierung des Grafischen Viertels am Ende des Jahres 1943 in Leipzig drucken konnte und formal sogar bis 1955 bestand, nimmt parallel den Werdegang der drei Verlags-Eigentümer in den Blick. Neben Christian Wegner sind dies John Holroyd-Reece und Kurt Enoch, beide jüdisch. John Holyroyd-Reece, 1897 als Johann Hermann Rieß in Hellerau bei Dresden geboren, war in englischen Internaten aufgewachsen und seit 1919 englischer Staatsbürger. Auf sein Zutun geht vor allem die komplizierte Unternehmensstruktur des Albatross-Verlags zurück, die sich als ausgetüftelter Schutz vor staatlichem Zugriff erwies, weil sie „etliche Firmen und staatliche Hoheitsgebiete“ umfasste (vgl. S. 187). Kurt Enoch, der 1895 als Spross einer jüdischen Unternehmerdynastie in Hamburg geboren wurde, gesellte sich 1932 als vertriebszuständiger Anteilseigner zu Albatross. Als Jude musste er 1936 aus dem Verlag ausscheiden, floh ins Exil nach Paris und Ende 1940 weiter nach New York (übrigens an Bord jenes Schiffes, unter dessen 678 Passagieren sich auch Heinrich und Golo Mann sowie Franz und Alma Werfel befanden). Ab 1936 firmierte Albatross offiziell als scheinbar „deutscher“ Verlag unter der alleinigen Führung von Christian Wegner; de facto gab er seine ausländischen Dependancen aber nie auf – zum Ärger der NS-Kulturbürokratie, die über die „ausländische Judenclique“ um Holroyd-Reece zürnte (vgl. S. 305).

 

In 24 Kapiteln gelingt Troy ein anschauliches und facettenreiches Bild des gleichermaßen innerhalb und außerhalb der NS-Diktatur agierenden Albatross-Verlages. Die Studie geht neben den Zeitumständen der Diktatur auch anschaulich auf das avantgardistische Verlagsmarketing ein, das mit seinem klaren Farbkonzept und seiner Idee der kuratierten Reihen ein ideales, leicht konsumierbares Produkt für den modernen, auch im NS-Staat vorhandenen Markt der Massengesellschaft schuf (vgl. S. 82).

 

Kollaboration oder Subversion?

 

Troys Studie besticht durch Erkenntnisse, die das herkömmliche Bild von der gleichgeschalteten Kultur im NS-Staat zumindest teilweise korrigieren. Danach war dessen „Literaturbürokratie“, vor allem in ihren Anfangsjahren, „weitaus weniger straff organisiert und schlagkräftig, als historische Klischees es uns glauben machen“ (S. 131). Einmal betont Troy sogar, „wie schnell der Mythos zentralisierter und straffer Gleichschaltung unter der der nationalsozialistischen Herrschaft in sich zusammenfällt, sobald man sich die tatsächlichen Abläufe näher ansieht“ (S. 186). Diese Aussage ist nicht generalistisch gemeint, sondern auf ihren konkreten Gegenstand, den Albatross-Verlag, gemünzt. Dessen komplizierte, ausgetüftelte Unternehmensstruktur (mit mehreren Geschäftsadressen in Leipzig, Paris und Bologna, daneben auch Luxemburg und London) dürfte durchaus dazu beigetragen haben, sich dem Zugriff der NS-Behörden zu entziehen. Troy unterstreicht allerdings auch, dass Goebbels die Firma für fremdsprachige Literatur jederzeit aus Deutschland hätte verbannen können. Dass es ihm nicht angezeigt schien, hatte Gründe. Zum einen wollte sich das NS-Regime durch englischsprachige Bücher – ähnlich wie mit der Zeitschrift Die Dame oder der Elite-Zeitung Das Reich – bis in die Kriegszeit hinein einen Anstrich polyglotter Modernität geben. Zum anderen war Albatross als Devisenbringer wichtig, denn die in Deutschland gedruckten und in ganz Europa monopolartig vertriebenen Bücher sorgten für willkommene Einnahmen in Fremdwährungen.

 

Albatross wurde von der Reichsschrifttumskammer auch gegenüber Anfeindungen dumpferer NS-Propagandaorgane geschützt, wie Troy am Beispiel der Stürmer-Beschwerde gegen Louis Goldings Five Silver Daughters belegt (vgl. S. 220/230). Das Kuriosum, dass Aldous Huxley mit seinem Reisebericht „Beyond the Mexican Bay“ auf Deutsch verboten, aber auf Englisch bei Albatross erhältlich war (vgl. S. 137-139), zeigt einmal mehr, dass die behördliche Konkurrenz im NS-Führerstaat für durchaus widersprüchliche Verhältnisse im gleichgeschalteten Regime sorgen konnte.

 

Ob der Albatross-Verlag unterm Strich als „trojanisches Pferd“ (S. 182) für die angloamerikanische Kultur in Nazideutschland gewirkt hat oder ob er – im Sinne der These von Christian Adams Studie Lesen unter Hitler – systemstabilisierende Unterhaltungslektüre produziert hat, kann in dieser schlichten Dichotomie nicht beantwortet werden. Wie alle Kunst in repressiven Regimen wusste sich Albatross durch „Selbstzensur“ und „sorgsames Redigieren“ (S. 251) bestimmter Werke prophylaktisch aus der Schusslinie zu ziehen. Troy hält sich mit einer definitiven Bewertung ausdrücklich zurück, indem sie betont, dass die bei Albatross erschienenen Bücher nicht pauschal subversiv waren, weil sie englischer Sprache gedruckt und mit der angloamerikanischen Kultur verbunden waren (vgl. S. 435). Unterm Strich interessant bleibt das Faktum der hohen Nachfrage nach solchen Büchern.

 

Neben vielen Details zum Albatross-Verlag bietet Troys Studie Beifang zur NS-Zeitgeschichte. So erfährt man eher beiläufig, dass nach einem Beschluss von Reichsminister Bernhard Rust Englisch ab dem Schuljahr 1937/38 zur ersten Fremdsprache an deutschen Oberschulen wurde: „Albatross- und Tauchnitz-Titel waren auch preislich für deutsche Klassenzimmer interessant“, kommentiert Troy (S. 226). Eine eigene Würdigung verdient der Umstand, dass die Verfasserin zahlreiche Rezeptionszeugnisse zur Tauchnitz-Reihe und Albatross-Library aufgespürt hat, sei es von Schriftstellerstimmen wie D.H. Lawrence oder Sinclair Lewis (vgl. S. 27), sei es in Form von Pressestimmen. Die Literarische Welt (LW), die ihren kosmopolitischen Anspruch nicht zufällig im Namen trug, pries Albatross bereits im Frühjahr 1932 als dringend benötigtes Heilmittel gegen den zunehmenden Nationalismus: „Gegenseitiges geistiges Erkennen der Völker untereinander“ sei „heute Notwendigkeit“ (zitiert nach Troy, S. 89).

 

Unter den Abbildungen, die Troy jedem Kapitel ihres Buches vorangestellt hat und die neben Buchumschlägen beispielsweise auch Werbeaktivitäten von Albatross visualisieren, ragt ein weiteres Rezeptionszeugnis besonders heraus: die „Leseland“-Karte der Literarischen Welt. In der Vorweihnachtszeit des Jahres 1931 hatte die Wochenzeitung für Literatur und literarisches Leben ihren Lesern ein originelles Wimmelbild beschert (vgl. S. 52).[1] Sein drolligstes Detail bilden zwei Löwen, die sich – über den Ärmelkanal und die Londoner Tower Bridge hinweg – ein Buch zuwerfen. Empfänger ist der Löwe der Leipziger Tauchnitz-Edition. Gerade weil das Wimmelbild den Ende 1931 in Gründung befindlichen Albatross-Verlag noch nicht als Konkurrenz kennt, lässt sich erahnen, wie feldstrategisch gewieft es war, das Monopol von Tauchnitz mit einem zeitgemäßeren Konzept herauszufordern.

 

Troys gelungene Monografie über den Albatross-Verlag und die „Geschichte (s)eines unwahrscheinlichen Überlebens“ (S. 23) schließt eine Lücke im kulturellen Gedächtnis, die ganz eindeutig damit zu tun hat, dass die Ankunft der angloamerikanischen Moderne nicht ganz in unser Bild von der kulturell gleichgeschalteten NS-Diktatur passen will. Weil sich für Albatross kein Verlagsarchiv erhalten hat, musste Troy verschiedenste Archive in diversen Ländern auswerten. Sie hat Korrespondenzen studiert, Verkaufszahlen destilliert und die internationale Branchenpresse gesichtet. Man nimmt erstaunt zur Kenntnis, dass die Geschichte eines so schillernden Leipziger Unternehmens wie Albatross nicht von der Leipziger Buchwissenschaft, sondern von einer amerikanischen Anglistin aufgearbeitet wurde. Wer über die NS-Kulturindustrie und ihre inneren Widersprüche mitreden will, sollte Die Albatross Connection zur Kenntnis nehmen.

 

 

 

[1] Es handelt sich um das Titelblatt der Ausgabe vom 4. Dezember 1931. Ganzseitig wurde das Feld der deutschen Verlagslandschaft spielerisch und symbolträchtig kartiert: So fand sich rechts oben ein „S. Fischer Gebirge“, angemessen für den Verlag, der sich auf Höhenkamm-Literatur verstand und den Nobelpreisträger Thomas Mann im Programm hatte. Mittig prangte Cotta – als ummauerte, uneinnehmbare Klassiker-Bastion. Der im neuen Krimi-Sektor erfolgreiche tätige Goldmann-Verlag trat als großes Kraftwerk für „Goldmannstadt“ in Erscheinung: „Vorsicht Hochspannung“. Links unten auf der „Leseland“-Karte segelte das „Insel-Schiff“ aufs Meer der Weltliteratur hinaus. Und in der linken oberen Ecke der Karten-Optik entdeckt man, gelegen am Roten Meer, den „Malik-Sender“ des gleichnamigen kommunistisch gesinnten Verlags. Auf seinem eingezäunten Revier wehrt sich ein Mann mit einem Schirm gegen Bomben aus der Luft, die Hakenkreuz-Flugzeugen fallen – ein im Rahmen des Wimmelbildes ebenso dezentes wie eindeutiges Zeitzeichen auf die politische Situation der Weimarer Republik. Diese Leseland-Karte der LW repräsentiert – am Beispiel der ausgehenden Weimarer Republik – den seltenen Fall einer wortwörtlichen Kartierung von Verlagsprofilen auf dem von Pierre Bourdieu beschriebenen literarischen Feld.