»Seismograph«. Kurt Wolff im Kontext. [Redaktion: Raimund Fellinger]. Berlin: Insel Verlag 2014. 99 S. (Insbel-Bücherei, Bd. 1332). ISBN: 978-3-458-19332-6. Preis [A]: € 15,40

 

Es ist das Idealbild eines Verlegers : Mit lässig verschränkten Händen hinter einem von Büchern bedeckten Schreibtisch sitzend (die Ellbogen reichen über den Rand des Gemäldes hinaus und sind für den Betrachter unsichtbar); glattes, zum Seitenscheitel frisiertes Haar, klassischer Herrenanzug, den Blick auf den Betrachter gerichtet, Zentralperspektive. So hat der Maler Felice Casorati den keine 40 Jahre alten Verleger Kurt Wolff im Jahr 1925 porträtiert. Ein anderes Bild, das bis heute mit dem Namen Kurt Wolff assoziiert wird, ist jenes der kapitolinischen Wölfin, der Lupa Romana, beim Säugen ihrer Schützlinge Romulus und Remus – das berühmte Verlagssignet: Durch nichts Geringeres als den Gründungsmythos Roms wirkt das äußere Erscheinungsbild des Kurt-Wolff-Verlags. Der Verleger, dessen Gesicht bei Casorati, bedingt durch die seitlich einfallenden Sonnenstrahlen, zur Projektionsfläche für ein Spiel von Licht und Schatten wird, ist ein einfallsreicher und vielschichtiger Gründer, einer, der als Kind seiner Zeit stets an deren Puls arbeitet und über den Jüngsten Tag und Neue Romane dem Pantheon entgegen geht – Buchreihen und Verlagen also, die die Geschichte des literarischen Feldes nicht nur im deutschsprachigen Raum nachhaltig mitgeprägt haben. Unter dem Titel »Seismograph«. Kurt Wolff im Kontext widmet die traditionsreiche Insel-Bücherei – seinerzeit eine der schärfsten Konkurrentinnen von Wolffs eigenen Verlagsprodukten – der Verlegerlegende einen eigenen Band, mit dem sie Schlaglichter auf sein Wirken und die Bestrebungen seiner literarischen Zeitgenossen wirft (und sich selbst dabei nicht ganz vergisst).

Der von Suhrkamp-Cheflektor Raimund Fellinger redigierte Band Nr. 1332 der Insel-Bücherei beginnt mit einem Blick auf den jungen, Bücher sammelnden Kurt Wolff und verfolgt die Spuren seines Wirkens bis in die 1950er Jahre. Als Kurt Wolff 1913 einen Verlag unter seinem Namen gründet, bewegt er sich in einer Branche, in der die Konkurrenz nicht schläft: Viele sind auf der Suche nach einem besonderen Profil für ihre Verlagsprodukte im markenbildenden Rahmen eigenständiger Buchreihen, die es im Spannungsfeld zwischen den idealistischen Ansprüchen eines „Kulturverlages“ einerseits und den harten ökonomischen Realitäten des Marktes andererseits zu positionieren gilt. Wie also soll eine neue Buchreihe aussehen, welche Ausstattung ist dem Inhalt angemessen und was lässt sich zudem auch noch zu vernünftigen Preisen verkaufen? Ullstein zeigt sich zunächst der Belletristik gegenüber noch skeptisch und setzt dann mit seinen 1-Mark-Romanen vorrangig auf den Verkauf von unterhaltsamer Lektüre; Reclams Universal-Bibliothek dominiert nicht nur das Segment der günstigen Klassiker, sondern betreibt deren Verkauf zudem über Automaten; Samuel Fischer möchte zeitgenössische und noch nicht etablierte Autoren im kostengünstigen Bändchen verlegen und der 29jährige Gustav Kiepenheuer gründet seine Liebhaber-Bibliothek , deren Bände gleichfalls für nur eine Mark erstanden werden können.

Kurt Wolff hat im Zuge seiner Laufbahn bekanntlich gleich mehrere Rezepte ausprobiert. Der bereits etablierten, kanonstiftenden Insel-Bücherei setzt er insbesondere mit seiner Reihe Der Jüngste Tag einen avantgardistisch fokussierten Konkurrenten entgegen. Im Programm dieser Buchreihe finden sich vor allem „junge, häufig unbekannte Schriftsteller“ (S. 32), das Unternehmen gilt mithin als „riskante und gewagte Investition in die Schreibzukunft von (fast ausschließlichen) Debütanten“ (S. 32). Zuvor hat sich Wolff gemeinsam mit Ernst Rowohlt aber auch schon daran gemacht, das „Segment der bibliophilen Ausgaben“ (S. 18) zu erobern: Die Reihe der Drugulin-Drucke grenzt sich dezidiert von Billigdrucken ab. Für Karl Kraus wird gar ein eigener Verlag gegründet, der sich allein den Schriften des Wiener Satirikers widmen soll – ein Unterfangen, das nicht branchenunüblich, aber dennoch letzten Endes zum Scheitern verurteilt ist.

In einem Brief an Karl Kraus, mit dem er auf dessen Weigerung, im selben Verlag wie Max Brod verlegt zu werden, reagiert, findet sich denn auch die titelgebende Selbsteinschätzung Kurt Wolffs als „Seismograph“, die die Herausgeber erläuternd aufgreifen: „Seismographen können nicht mehr tun, als Beben zu registrieren, sie anzuzeigen – und als Verleger sie in Büchern, die die zugrundeliegende Erschütterung zutage treten lassen, dem großen Publikum weiterzureichen“ (S. 65). Mit Erschütterungen, die nicht allein vom vorgeblich epochalen Auftreten neuer literarischer Richtungen (wie etwa dem mit Kurt Wolff vorrangig assoziierten Expressionismus) herrühren, sondern vielmehr von den grundsätzlichen Reibungen, die sich aus den Positionierungskämpfen konkurrierender Akteure im literarischen Feld ergeben, beschäftigt sich auch der vorliegende neue Band der Insel-Bücherei , deren eigene Geschichte in Opposition zu Kurt Wolffs Aktivitäten und bis in die Gegenwart hinein besonders intensiv in den Blick genommen wird.

Mit »Seismograph«. Kurt Wolff im Kontext ist der Insel-Bücherei der Brückenschlag vom schön und liebevoll gestalteten Buch für Bibliophile zur inhaltlich kritischen und gleichermaßen respektvollen Auseinandersetzung mit einem Stück Literaturbetriebsgeschichte gelungen. Behutsam mischen sich zahlreiche Farbabbildungen, die nicht nur Porträts, sondern auch Briefe oder Buchcover wiedergeben und über reines Anschauungsmaterial hinausgehend optische Reize setzen, zwischen die Textseiten, auf denen von teils emotionalen und intensiven Korrespondenzen zwischen Autoren und Verlegern sowie von den Idealismus versprühenden Mission-Statements neu geschaffener Buchreihen die Rede ist. So kommt etwa Stefan Zweig, der die Marketing-und Vertriebsstrategien des Insel-Verlags in Frage stellt, neben einer ebenso skeptischen, mit Kurt Wolff ins Gericht gehende Else Lasker-Schüler zu Wort. Ihnen antworten die Stimmen der pikierten Verleger, und nicht selten geht es dabei vordergründig um das verpönte, aber gerade in Zeiten von Hyperinflation so zentrale Thema Geld.

Das Jon Baumhauer, dem Enkel Kurt Wolffs, zum 70. Geburtstag gewidmete Bändchen ist ein Stück Erinnerung, ein Beitrag zum Gedächtnis der deutschsprachigen Buchbranche. Kurt Wolffs Rolle im Zeitgeschehen, sein Bild, hat viele Facetten. Das Porträt von Felice Casorati, das auf Seite 25 abgedruckt ist, ist in warmen Farben gehalten, dennoch streng komponiert und gleichzeitig schlicht. Das Erscheinungsbild der Ellenbogen ist indes ungewiss; es ist vorstellbar, dass der Stoff des Anzug-Sakkos an dieser Stelle im Laufe der Jahre etwas dünner geworden ist.

 

Anna Obererlacher , 27.04.2015
Anna.Obererlacher@student.uibk.ac.at