Hans Weigel. Kabarettist – Kritiker – Romancier – Literaturmanager. Hrsg. von Wolfgang Straub. Innsbruck u.a.: StudienVerl., 2014. 188 S. (Archiv der Zeitgenossen. Schriften, Bd. 2). ISBN 978-3-7065-5392-6. Preis [A]: € 24,90

 

Hans Weigel war der österreichische Marcel Reich-Ranicki. Zwölf Jahre älter zwar als sein deutscher Kollege, sah er sich als Erbe der österreichischen Zwischenkriegskritik, eines Alfred Polgar oder eines Egon Friedell, wie jener sich als Nachfolger Alfred Kerrs überschätzte. Was Weigel von Reich-Ranicki unterschied, waren sein Witz und sein wütender Antikommunismus. Und er war nicht ganz so laut wie Reich-Ranicki, aber das könnte an der Entwicklung des Fernsehens liegen: als der Deutsche im Literarischen Quartett des ZDF sein eigentliches Medium fand, hatte Weigel nur noch drei Jahre zu leben. Die Scheinwerfer der Öffentlichkeit liebte er fast ebenso wie sein deutsches Pendant.

Zu traurigem Ruhm gelangte Weigel, als er, nicht ohne Erfolg jenseits des Neuen Theaters in der Scala, zusammen mit Friedrich Torberg die Aufführung von Brecht-Stücken in Österreich zu verhindern suchte. Auch in Westdeutschland gab es vereinzelt Kampagnen gegen Bertolt Brecht, aber Reich-Ranicki hat sich daran nicht beteiligt.

Im November 2013 veranstalteten die Österreichische Gesellschaft für Literatur und das Archiv der Zeitgenossen an der Donau-Universität Krems eine Tagung , die sich den verschiedenen Aspekten von Hans Weigels Wirken widmete. Die Ergebnisse liegen nun in Buchform vor.

Zwei Beiträge beschäftigen sich mit Weigels Romanen Unvollendete Symphonie und Der grüne Stern , in einem dritten erzählt die Regisseurin Heide Pils über die Voraussetzungen für ihre Verfilmung des Grünen Sterns . Evelyne Polt-Heinzls Aufsatz hat den Vorzug, dass er Weigels Roman in den Kontext zeitgenössischer Realien und künstlerischer Werke stellt und kritische Distanz zum Gegenstand der Untersuchung hält. Mit erkennbarem Vergnügen zitiert sie eine bissige Charakterisierung von Weigels Runde im Café Raimund durch Hertha Kräftner. „Weigel ist stolz und traurig zugleich (stolz, weil so viele gekommen sind, traurig, weil er alt wird).“ Sie benennt Weigels Eitelkeit und kommentiert eins seiner Zitate über Ingeborg Bachmann: „Da wird eine Reihe von Lebenskränkungen hörbar: 'Die Bachmann' machte ihre Karriere an Weigel wie Österreich vorbei in Deutschland.“

Stefan Maurer schreibt in seinem Beitrag über Hans Weigels Antikommunismus: „Es ist interessant festzustellen, dass Weigel sich in seinem antikommunistischen Kampf gegen die ‚Bedrohung‘ aus dem Osten auf publizistische Textsorten konzentrierte und nicht etwa einen programmatischen politischen Roman schrieb, wie dies etwa Friedrich Torberg in Die zweite Begegnung 1950, der in der Tradition von Arthur Koestlers Darkness at Noon (1940) steht, getan hat.“ (Die Inkonsequenz bei der Einklammerung der Jahreszahl stammt vom Autor oder vom Verlag wie „ausleuchteten“ statt „ausgeleuchteten“ gleich auf der zweiten Seite.) Das ist insofern bemerkenswert, als Doris Neumann-Rieser kurz davor Weigels Roman Der grüne Stern in einen Zusammenhang mit Darkness at Noon ( Sonnenfinsternis ) gebracht hat. Ein Versuch, diesen Widerspruch auszugleichen, gibt es nicht. Wie so oft in Büchern, die Tagungen ausbeuten, monologisieren die Vortragenden vor sich hin, ohne auch nur im Nachhinein, bei der Redaktion der gedruckten Fassung, wenigstens bei gegensätzlichen Behauptungen auf das einzugehen, was ihre Korreferenten gesagt haben.

Maurer weist darauf hin, dass Weigel „auf den Pürgger Dichterwochen im Juni 1954 vor ehemaligen nationalsozialistischen Schriftstellern wie Mirko Jelusich, Kurt Frieberger und Heinrich Zillich einen Vortrag über die 'Aufgaben des österreichischen Schriftstellers' hielt“. Das waren die Bedingungen, unter denen man im Zeichen des Kalten Krieges auch als aus dem Exil heimgekehrter Jude in Österreich willkommen war.

Wie sehr das Denken des Kalten Krieges diesen überlebt hat, erkennt man daran, dass Stefan Maurer einem Artikel von Bruno Frei im Tagebuch „ stereotype kommunistische Propagandaklischees“ attestiert, nicht aber den folgenden Sätzen Hans Weigels „stereotype antikommunistische Propagandaklischees“: „Vor allem aber gilt es, die eine, die einzige wirkliche Trennungslinie klar zu ziehen: die zwischen dem Tagebuch , dem ‚Friedensrat‘, den Hintermännern, den ängstlichen Mitläufern totalitärer Barbarei und allen übrigen Österreichern. Diesseits mögen Gegner sein; drüben ist der Feind.“ Zu den „übrigen Österreichern“, die Gegner sein mochten, aber nicht Feinde, zählten Weigels Zuhörer bei den Pürgger Dichterwochen.

Selbsterklärend sind die Zitate aus dem Kleinkrieg, den Hans Weigel gegen den Präsidenten des österreichischen P.E.N.-Clubs Franz Theodor Csokor geführt hat und den der Herausgeber des Bandes Wolfgang Straub ausführlich dokumentiert. Csokor schwieg. „Und so bleibt 'Weigel vs. Csokor' weiterhin – dramaturgisch gesprochen – ein Monolog.“ Ende 1962 gibt der 77jährige Csokor in einem Brief an Hans Weigel folgende Ehrenerklärung ab:

„Lieber Hans Weigel, auf Wunsch bestätige ich Ihnen, dass seit dem Ende der zwischen uns schwebenden Affäre keine Trübung mehr in unseren Beziehungen eingetreten ist. Ich bin davon überzeugt, dass Sie auch in Ihrer seinerzeitigen Polemik gegen mich nicht von dubiosen Motiven geleitet waren, sondern durchaus von Ihrem Standpunkt aus gehandelt haben. Mit besten Grüssen, Franz Theodor Csokor“.

Besagt das nun etwas über Hans Weigel oder über Franz Theodor Csokor? Oder gar über österreichische Zustände im Jahr 1962?

Zu den Verdiensten, die Hans Weigel angerechnet werden, gehört, dass er Ingeborg Bachmann gefördert habe. Evelyne Polt-Heinzl hat dieses Klischee schon zurecht gerückt. Ein Beitrag von Joseph McVeigh lässt sich ausführlich darauf ein. Um die österreichischen „Literaturmanager“ und „Managerinnen“ der Nachkriegszeit, zu denen Weigel gehörte, geht es auch in einer Podiumsdiskussion, die offenbar auf keiner Tagung fehlen darf. Es blieb dem Germanisten Günther (nicht Günter) Stocker vorbehalten, aus dem Publikum auf zwei Problemkreise hinzuweisen, die eine Vertiefung verdient hätten:

„Es ist sehr auffällig, dass bei den genannten Felmayer, Weigel, Hakel ganz besonders, Richter auch, dass die selbst als Autoren wesentlich weniger erreicht haben mit ihren Büchern als viele ihrer Schützlinge. Viele von den Namen würden uns ja heute gar nicht mehr beschäftigen, wenn nicht die im Umkreis Geförderten groß geworden wären. Manche haben das eingesehen. Hakel hat, glaub ich, immer gewusst, dass er schlechte Gedichte schreibt. Viele von denen hatten aber trotzdem einen guten Blick auf Leute, die sie fördern sollen. Das Zweite, was ich noch sagen wollte, um der Verklärung der Mentoren und Mentorinnen entgegenzutreten: Mentoren und Mentorinnen versuchten Autorinnen und Autoren auch immer wieder zu bevormunden.“

Er zitiert Okopenko und Bachmann als Beispiele. In der Tat: Mentorenschaft ist, jenseits von sexueller Ausbeutung oder Machtausübung, wie Mäzenatentum und Sponsoring, ein keineswegs nur positiv zu bewertendes Institut. Und es stellt sich die Frage, ob Weigels charakterliche Defizite nicht bloß deshalb so eingehend diskutiert werden, weil er ein mittelmäßiger Schriftsteller war. Politische Opportunisten oder Denunzianten waren auch andere, aber wenn ihr Werk unumstritten ist, spielt das allenfalls am Rand eine Rolle – bei Knut Hamsun, Luigi Pirandello oder Ezra Pound ebenso wie, wenn man Weigels antikommunistische Perspektive teilt, bei Brecht, der seinen Zensor längst überlebt hat.

Barbara Nowotnys Beitrag über die Zusammenarbeit von Hans Weigel und Jura Soyfer in der Wiener Kleinkunstszene beginnt mit den folgenden Sätzen:

„Im Wien der dreißiger Jahre erlebte das literarische Kabarett einen ungeahnten Aufschwung. Dieser Umstand ist umso bemerkenswerter, als es in einer Zeit der Wirtschaftskrise und Arbeitslosigkeit zu einer Reihe von Theatergründungen kam – den 'Theatern für 49'.“

Wie soll man das verstehen? Wieso ist ein Aufschwung umso bemerkenswerter, als er ein Aufschwung ist? Und wieso ist die Kleinkunstszene vom Kabarett beeinflusst? Ist das Kabarett nicht Teil der Kleinkunst? Nowotny selbst benutzt abwechselnd die Begriffe „literarisches Kabarett“ und „Kleinkunst“ für die gleiche szenische Gattung. Und so weiter, und so fort. Das „Mittelstück“ ist eine Spielart des Kabaretts, nicht ein Gegensatz zu ihm, und es hat, gerade in Wien, durchaus in einzelnen Ausprägungen den Zweiten Weltkrieg überlebt. Der Ausdruck „Verlorene Generation“ („Lost Generation“) stammt nicht von Hans Weigel, sondern von Gertrude Stein. Bei der Nacherzählung von Plagiat! Plagiat! – Lehár kontra Goethe , einem Sketch von Weigel und Soyfer aus dem Jahr 1936, hätte es nahe gelegen, Polgar und Friedells viel gespielte Groteske Goethe von 1908 zu erwähnen, die offenkundig Pate gestanden hat. Gerne erführe man in diesem Zusammenhang auch, ob sich in dem Freund und Koautor des Kommunisten Jura Soyfer schon der Hans Weigel erkennen ließ, von dem zuvor die Rede war, und wenn nicht, was das zu bedeuten hat. Wenn Weigel schon kein anderer Alfred Polgar war – vielleicht war er ein zweiter William S. Schlamm. Polgar schrieb 1952 an Schlamm: „Meine Liebe zu Dir ist selbst durch Deine zu McCarthy nicht zu erschüttern. Und wenn auch Dein Herz abnormal sitzt, nämlich ganz rechts – wer kann für seine Anatomie?“ Jura Soyfer konnte derlei nicht an Weigel schreiben. Er war im KZ Buchenwald ums Leben gekommen.

Über Hans Weigel als Kritiker referiert Peter Roessler. Er weitet das Thema ins Grundsätzliche aus und liefert die zugleich kritischste und genaueste Analyse des Phänomens Weigel im vorliegenden Band. „Hans Weigel jedenfalls versuchte, die Subjektivität seiner Kritik mit dem Habitus desjenigen, der zum Betrieb gehört, zu verbinden, ja geradezu daraus abzuleiten; dies schien ihm ohnehin unausweichlich, nicht nur für sich selbst.“ Präziser lässt sich Weigels Rolle im österreichischen Kulturbetrieb nicht beschreiben.

Erstaunlicherweise werden die beiden Gebiete, auf denen Hans Weigel tatsächlich Überdurchschnittliches geleistet hat, in dem Buch nur beiläufig am Rande erwähnt. Seine besten Parodien und Travestien – etwa Schillers Don Carlos im Stil von Qualtingers Der Herr Karl – können sich durchaus an jenen des berühmtesten österreichischen Meisters dieser Gattungen, an Robert Neumanns Texten Mit fremden Federn, messen lassen. Und sein ehrenwerter Versuch, Molières gereimte Alexandriner ins Deutsche zu übertragen, wo dieses Versmaß, anders als in der französischen Literatur, nach dem Barock zugunsten des Blankverses radikal an Bedeutung verloren hat, hätte eine eingehende Untersuchung verdient. Hans Magnus Enzensbergers Diktum, wonach der Alexandriner im Deutschen nicht für das Theater tauge, könnte ja 35 Jahre nach seiner Formulierung und 44 Jahre nach der Fertigstellung von Weigels Übersetzung durchaus eine Überprüfung vertragen.

In den Sammelband sind auch Fotos von Hans Weigels Arbeitszimmer von Hertha Hurnaus aufgenommen. Sie verraten, wer er gerne gewesen wäre und doch nie geworden ist: Karl Kraus. Er lachte dem Jüngeren von der Wand und aus den Bücherregalen entgegen. Oder lachte er ihn aus? „In Wien stellen sich die Nullen vor den Einser.“ Das ist nicht von Weigel, das ist von Kraus.

Wahrscheinlich darf man nicht mehr erwarten, dass ein Unternehmen, das sich Studienverlag nennt, darauf besteht, dass seine Autoren korrektes Deutsch schreiben. Was hätte Hans Weigel dazu gesagt? Was an dem wirksamen Brecht-Boykott war „sogenannt“? Dass etwas nicht verifiziert werden könne, was bislang nicht verifiziert ist, ist nicht so sehr ein sprachlicher wie ein logischer Fehler – es sei denn, die Autorin verstünde die Bedeutung von „verifizieren“ nicht. Dass diese Verwechslung häufig anzutreffen ist, macht sie nicht weniger ärgerlich. Das gilt auch für die Terminologie. Im Eifer der Bezugnahme auf unterschiedliche Theorien wirbelt Doris Neumann-Rieser Ideologien, Ideen und Ideale munter durcheinander. „Nicht der Kommunismus als bestehende Partei oder Interessengruppe, sondern als Machtmonopol wäre demnach das Angriffsziel Weigels.“ Hier wäre der Begriff Ideologie oder Idee oder Ideal am Platz. Aber der Kommunismus als Partei? Man lernt nie aus.

Da in dem Band die übliche Schreibweise „Franz Theodor Csokor“ verwendet wird, wüsste man gerne, wieso auf der Homepage der Schaltstelle Hans Weigel an der Universität Wien, deren Leiter das Konzept des Symposiums und den daraus hervorgegangenen Band zu verantworten hat, der ungarische Name Csokor wie in ganz wenigen eher dubiosen Fundstellen zu Czokor polonisiert wird. Nicht ein Mal, sondern wiederholt. Da muss sich Wolfgang Straub mit Nestroy fragen, wer da recht hat: „ich oder ich“.

Das Positivste zum Schluss: Heide Pils erzählt selbstironisch, wie wenig sie mit Weigels Roman Der grüne Stern anfangen konnte („Er ist schon manchmal so, wie der kleine Maxi sich das Entstehen einer Diktatur vorstellt. […] So funktioniert’s nicht, sag ich immer“) und dass Weigel zu ihrer Verwunderung über ihre Verfilmung begeistert war. Und dann erzählt sie die folgende Anekdote:

„Ich war zum Essen eingeladen bei Elfriede Ott und Hans Weigel in Enzersdorf. Beim Dessert habe ich dann gesagt: 'Oh mein Gott, das war aber lecker.' Daraufhin sagt der Weigel zur Elfriede Ott: 'Liebe Evi [!], wenn du einmal den Eindruck hast, dass meine Zuneigung zur Heide Pils über das erlaubte Maß hinausgeht, dann erinnere mich daran, dass sie heute ‚lecker‘ gesagt hat.'“

Diese Geschichte könnte einem Hans Weigel fast wieder sympathisch machen. Obwohl sie, genau besehen, genauso chauvinistisch ist wie die von Fritz Muliar wiederholte Bemerkung, dass jemand, der „Schangse“ sagt, nicht Burgtheaterdirektor werden dürfe. Es gibt halt einen österreichischen Sprachpatriotismus, der schon wieder herzig ist. Hans Weigel, das steht fest, hat ihn gepflegt.

Thomas Rothschild , 27.04.2015
thomas.rothschild@yahoo.de