Wie kann Literaturvermittlung in der heutigen Gesellschaft aussehen? Und welche Rolle spielen die verschiedenen Medien in diesem Zusammenhang? Diese Fragen stellten sich am 19. und 20. September 2008 die Teilnehmerinnen und Teilnehmer einer Tagung der Universität Nancy, deren Vorträge nun unter dem Titel Die Kunst geht auch nach Brot! Wahrnehmung und Wertschätzung von Literatur erschienen sind.
Der Band vereint Aufsätze zu verschiedenen Sichtweisen und Wegen der Literaturvermittlung im medialen Kontext und lässt dabei auch die soziologische Perspektive nicht außer Acht. In einer Zeit, in der Literatursendungen im Fernsehen nur für Nachteulen ausgestrahlt werden und die Feuilletonteile der Zeitungen eher abnehmen als zunehmen, gewinnt das Thema Literaturvermittlung immer mehr an Bedeutung. Welche Möglichkeiten gibt es, Menschen zum Lesen oder gar zur kritischen Bewertung des Gelesenen zu bringen? Auch die Frage, wie Literatur in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird oder welche Formen der Wertschätzung heute von Bedeutung sind, ist für Literaturvermittler wichtig.
In den ersten beiden Texten des Tagungsbandes geht es um Literaturpreise und deren Bedeutung in der Gesellschaft. Diese Form der Wertschätzung bedeutet für AutorInnen am meisten Renommee. Wer als SchriftstellerIn einen der großen Literaturpreise gewonnen hat, dem/der ist (auch mediale) Aufmerksamkeit gewiss. René Kegelmann beschreibt in seinem Aufsatz den Werdegang des Adalbert-von-Chamisso-Preises – verliehen an AutorInnen nicht-deutscher Muttersprache, die aber ihre Werke in deutscher Sprache verfassen – von den Anfängen bis heute. Zusätzlich beschäftigt er sich auch mit dessen Wirkung auf das Publikum , sowie mit der Frage, ob der Preis mehr als Möglichkeit für junge, noch unbekannte AutorInnen gelten kann, in einer breiteren Öffentlichkeit bekannt zu werden, oder ob er den AutorInnen eher ein Etikett aufdrückt. Kegelmann weist darauf hin, wie wichtig dieser Preis für das internationale Renommee der deutschsprachigen Literatur weltweit ist, da die PreisträgerInnen auch im Land ihrer Herkunft die deutsche Literatur vertreten und bewerben. Vor allem die Goethe-Institute sind froh, dass Chamisso-PreisträgerInnen als Partner durch die Welt reisen und Lesungen halten.
Im darauffolgenden Artikel befasst sich Judith S. Ulmer mit dem Georg-Büchner-Preis aus der Sicht der Ritualwissenschaft, eine meines Erachtens sehr vielversprechende Herangehensweise. Die Autorin geht hier von verschiedenen theoretischen Ansätzen aus und wendet sie auf das Ritual der Preisverleihung an. Vor allem die soziologischen Theorien Pierre Bourdieus sollen dazu dienen, die meist auf Textanalyse, AutorIn und LeserIn fokussierte literaturwissenschaftliche Perspektive zu erweitern und so auch das soziale Handeln sowie Mechanismen im Umfeld von Literatur und deren ProduzentInnen bzw. RezipientInnen miteinzubeziehen (S. 37). Am Beispiel des Büchnerpreises wir hier vor allem auch dessen politisch-literarischer Doppelcharakter genauer beleuchtet. Die Autorin zeigt sehr interessante Möglichkeiten der Synthese von Soziologie und Literaturwissenschaft auf und regt zu weiteren Forschungen in diesem wissenschaftlichen Grenzbereich an. Nur schade, dass ein so komplexes Thema, wie aus der Lektüre dieses Beitrags deutlich wird, schwer auf nur wenigen Seiten abzuhandeln ist.
Detlef Gwosc, Medienwissenschaftler und Hochschullehrer an der Hochschule für Film und Fernsehen in Potsdam-Babelsberg, setzt sich mit dem Phänomen der Fernsehsendung „Das Literarische Quartett“ auseinander. Er beschreibt eingängig die Mechanismen des „Quartetts“ und des Sendungsformates sowie die Umstände, die zu dessen Auflösung führten. Aber auch die Wahrnehmung der Sendung in der Öffentlichkeit sowie der Werbeeffekt in Zusammenhang mit den besprochen Büchern werden analysiert.
Zu den interessantesten Artikeln des Tagungsbandes zählt sicherlich derjenige von Sigrid Fahrer. Unter dem Titel „Nehmen Sie sich ein Ohr“ stellt sie das Phänomen der sogenannten Poesietelefone vor. Diese wurden in den 1970er Jahren als Medium für die Verbreitung zeitgenössischer Literatur eingesetzt . Sie entwickelten sich aus avantgardistischen Projekten, die vor allem von VertreterInnen der kritischen Poesie sowie von KünstlerInnen genutzt wurden, die Lyrik in den Alltag der Menschen integrieren wollten. Es wurden hier von verschiedenen Institutionen Telefone mit Anrufbeantwortern zur Verfügung gestellt, auf denen die AnruferInnen literarische Kurztexte – meist von den AutorInnen selbst – vorgelesen bekamen. Fahrer sieht die heutigen Literaturpodcasts als logische Nachfolger der Poesietelefone. Heute übernimmt der iPod, über den man jederzeit Literaturhäppchen konsumieren kann, die Aufgabe, Literatur in den Alltag zu bringen.
So bildet der Podcast im vorliegenden Band den Übergang vom Poesietelefon zum Internet als literaturvermittelndem Medium, einem noch recht jungen Forschungsgebiet. Elisabeth Kampmann beschreibt, wie sich das Gefüge AutorIn – LeserIn im Medienzeitalter verändert hat. Sie befasst sich exemplarisch mit drei Autorenhomepages, anhand derer sie zeigt, wie sich AutorIn und LeserIn durch das Internet in ihrer Kommunikation in den letzten Jahren immer mehr angenähert haben. Besonders interessant sind die Ausführungen über die Rollenveränderungen im Literaturbetrieb durch Autorenhomepage, Online-Buchhandel und Kundenrezensionen.
Weiters wird im Tagungsband überlegt, ob man die Laienrezensionen, die man heute überall im Internet findet, mit der Salonkultur im 19. Jahrhundert vergleichen kann. Eine interessante These, die aber leider auch nach der Lektüre der Studie von Christoph Schmitt-Maaß, der dieser Frage mit vielen Beispielen und Parallelen nachgeht, nicht ganz schlüssig erscheint. Der Autor vergleicht die eher umgangssprachlich formulierten Laienrezensionen im Internet inklusive der Möglichkeit, Antworten und Kommentare abzugeben, mit mündlichen Gesprächen über Literatur. Es wird zwar klar, dass die moderne Kommunikation im Internet der mündlichen Kommunikation ähnelt, aber ob man deshalb tatsächlich von einer spezifischen Übereinstimmung mit der Salonkultur im 19. Jahrhundert sprechen kann, bleibt fraglich.
Im letzten Aufsatz erläutert Christa Baumberger die durch die Situation der Mehrsprachigkeit nicht gerade einfache Rolle der Literaturvermittlung in der Schweiz. Sie beschreibt anhand einiger Beispiele, wie die literarische Landschaft in der Schweiz aussieht, welche Probleme sich durch die verschiedensprachigen Literaturen in einem Land ergeben und welche Bedeutung Übersetzungen und Literaturkritik in der Schweiz haben.
Die Beiträge des vorliegenden Bandes beleuchten zwar – wie das bei der Publikation von Tagungsvorträgen häufig der Fall ist – nur unzusammenhängende Teilaspekte des Themas, dennoch kann sich der/die Leser/in einen groben Überblick über die medialen Möglichkeiten der Literaturvermittlung und deren Bedeutung verschaffen.
Elisabeth Sporer , 12.06.2011