Zugegeben, das ist kein netter Anfang, aber lesen Sie trotzdem weiter, ich tat es auch. Auf Seite 9 hätte ich das Buch fast schon zugeschlagen. Das lag an der Grafik. Dass eine solche simplifizierende grafische Darstellung der "Mitspieler im literarischen Betrieb" durch Herausgeberstab und Lektorat geschlüpft ist, verwundert sehr. Immerhin erscheint dieses Lehrbuch in der renommierten Reihe Einführung Germanistik der Wissenschaftlichen Buchgesellschaft und ein fiktiver Stempel am Umschlag des Buches signalisiert, dass es (von wem auch immer) für Bachelor- und Masterstudium geprüft ist.
Da sind zunächst die Pfeile in dieser Grafik: Sie führen einbahnig vom Autor über die Literaturförderung durch den Verlag und den Buchhandel und die Literaturkritik zum Leser. Als ob im komplexen System des Literaturbetriebes irgendetwas als Einbahn funktionieren würde. Dann ist die Zuordnung der angegebenen Mitspieler zu den genannten Kategorien fragwürdig und die Anordnung derselben auch. Warum die Literaturförderung zwischen Autor und Verlag steht, als ob jeder Autor durch sie hindurch müsste, um einen Verlag zu finden, steht in den Sternen. Warum jeder Leser durch die Literaturkritik muss, genauso, und warum Schule und Museen sich bei der Literaturkritik ansiedeln, ebenso. Im Buch selbst, 40 Seiten später, wird der Deutschunterricht dann bei der Literaturförderung thematisiert werden. Richter versteht die Literaturvermittlung ebenso als Literaturförderung wie die Autoren- und Leseförderung. Nach der Lektüre des Kapitels "Literaturförderung" wird daher die ausschließlich auf der Produktionsebene angesiedelte Verwendung und Positionierung des Begriffs Literaturförderung in der Grafik umso unverständlicher.
Wenn man Studierenden den Auftrag gibt, grafisch darzustellen, wie das Feld der "Mitspieler im literarischen Betrieb" aussieht, erhält man, so meine Erfahrung, komplexere Schaubilder als das hier abgebildete: Da sieht man dann Pfeile in alle Richtungen, Doppelrollen und Rollenkonflikte, Hierarchien, die wechseln, Felder, die einander überlappen: Chaos also und Mühen beim Schaubildzeichnen und sicher keine simple Linearität. Und damit kommt man dem Literaturbetrieb um einiges näher.
Im kurzen Kapitel "Annäherungen an eine Theorie des Literaturbetriebs", das sich in der Auswahl auffällig an das Kapitel 4 in Stefan Neuhaus' Literaturvermittlung anlehnt, stellt Richter die Theorien von Pierre Bourdieu (literarisches Feld), Niklas Luhmann (Systemtheorie) und Michel Foucault (Diskurstheorie) vor. Die Darstellung des Literaturbetriebes in Richters Buch ist von diesen Theorien leider kaum beeinflusst, besonders augenscheinlich wird das in dieser ersten Abbildung.
Nun, ich las trotz des Anfangschrecks weiter – und was Steffen Richter im Folgenden ausführt, ist dann auch komplexer als die eröffnende Grafik. Eine Neuauflage des Buches sollte daher diese Abbildung jedenfalls weglassen. Damit wäre dieser Stein des Anstoßes entfernt. Und als Gliederung dient das Schema ohnehin nicht.
Wenn man eine Einführung zu einem Thema schreibt, für das es schon andere brauchbare und umfassende Einführungen gibt, gehört es zum guten Ton anzugeben, warum nun auch dieses vorliegende Buch nötig ist, das heißt, was es anderes oder mehr zu bieten hat. Das tut auch Steffen Richter und er nennt die beiden wichtigsten aktuellen Publikationen, nämlich Bodo Plachtas Literaturbetrieb (2008) und Stefan Neuhaus' Literaturvermittlung (2009). "Was in beiden Publikationen nur bedingt in angemessener Form diskutiert wird", meint Richter, "sind die einschneidenden Veränderungen des Literaturbetriebs durch die Digitalisierung" (S. 13). Die entsprechende Rolle, die sie laut Richter bei der Beschreibung des Literaturbetriebs spielen sollten, versucht er ihnen in seinem Buch vor allem durch die Stichworte "E-Book" und "Books.Google" zuzuweisen, zudem widmet er der „Literatur im Internet“ zwei Seiten und der Digitalisierung fünf Seiten. So viel ergänzende Betrachtung über die Veränderungen des Literaturbetriebs im Vergleich zu dem, was die genannten und andere Publikationen – etwa auch im Bereich der Literaturkritik – bieten, ist das nun auch wieder nicht. Zur gegenwärtigen Situation passend, in der sich diesbezüglich noch mehr Fragen nach der Zukunft des Buches stellen, als dass schon Antworten gewusst würden, endet seine Einführung mit der Frage: „Wann endet die digitale Revolution?“ Richter verweist auf Umberto Eco und dessen Gespräch mit dem Regisseur Jean-Claude Carrière über Die große Zukunft des Buches (2010): Die digitale Revolution sei irreversibel.
So weit, so gut, die Fülle des Zusammengetragenen zum Thema Literaturbetrieb (von Autor über Förderung, Kritik, Verlagswesen, Buchhandel und Medien) ist trotzdem beachtlich wenngleich vieles davon eben schon bei Plachta und vor allem und detaillierter bei Neuhaus zu lesen ist. Richter würzt seine Ausführungen mit konkreten und aktuellen Beispielen, mit Autoren, Events und Skandalen. Allerdings sind etwa die Beispiele für Debatten mit jenen um Martin Walser und Christa Wolf auch längst in anderen Einführungen zu finden, hier ergänzt um die Debatte um Helene Hegemann. Richter gibt dem Handel Gewicht und überlässt aktuellen Zahlen und Fakten aus dem gegenwärtigen Buchmarkt viel Platz – zu viel, denn gerade diese Zahlen werden morgen schon überholt sein. Statt große Grafiken – etwa auch von Umfrageergebnissen – einzufügen, hätte ein Verweis auf die Webseiten der Quellen genügt – damit man auch morgen noch auf aktuellem Stand ist. Eigenartig, dass in einer Einführung, die den Blickwinkel verstärkt auf Digitalisierung lenken will, gerade die Möglichkeit einer solchen Informationsergänzung vernachlässigt wird. Nützlich sind die Webseitenadressen im Anhang, die wiederum – gemessen am eigenen Anspruch – erstaunlich dürftig ausfallen und bis auf wenige Ausnahmen die deutschen Landesgrenzen nicht überschreiten.
Leider verschweigen Titel und Klappentext, dass diese Einführung auf den Literaturbetrieb in Deutschland beschränkt ist. Dagegen wäre nun gar nichts einzuwenden, man muss sich als Österreicherin nicht immer extra mitbetrachtet wissen. In diesem Fall ist diese Auslassung aber problematisch, denn die Einführung will ja offensichtlich konkret sein und ist es etwa im Bereich der Institutionen auch, wenn konkrete Literaturzeitschriften oder Archive genannt werden. Bei den Literaturzeitschriften fällt aber nicht einmal das Wort Wespennest oder Manuskripte , bei den Verwertungsgesellschaften gibt es zwar die VG Wort , nicht aber ihre österreichische Partnerorganisation LiterarMechana . Studierende aus der Schweiz und Österreich werden, wenn sie Konkretes zu "ihrem" Literaturbetrieb wissen wollen, in diesem Buch nichts finden.
An diese Kritik anschließen kann man noch eine andere: Verweise auf einerseits der eigenen Darstellung zugrunde liegende, andererseits weiterführende Sekundärliteratur werden sehr bescheiden gestreut, fehlen manchmal ganz, etwa jene zu neuesten Publikationen zur Literaturkritik. Statt dessen kann man erstaunliche Thesen lesen. "Seit langem wird auch davor gewarnt, der Literaturjournalismus mit seinen Genres wie Interview, Reportage, Kommentar oder Glosse bedränge das klassische Format der Rezension". (S. 74) Nun habe ich nicht den Eindruck, dass Glossen derart auf dem Vormarsch wären, deshalb würde mich interessieren, wer davor warnt und wo Richter das gelesen hat. Und wenn die Bezeichnung Literaturjournalismus verwendet wird, signalisiert das meist eine Unterscheidung von der Literaturkritik, deren kritischer Anspruch damit betont wird. Doch gerade Glossen und Kommentare können als journalistische „Meinungselemente“ hervorragende literaturkritische Instrumente sein. Präziser scheint mir daher Richters auf diesen Satz folgende Feststellung: "Insbesondere sei eine Verschiebung des literaturkritischen Geschäfts von der Rezension hin zum Porträt oder gar zur populistischen Homestory zu beobachten, in der das Privatleben des Autors im Vordergrund steht und der Text aus dem Fokus gerät." (S. 74) Ja, genau, für diese Einschätzung gibt es einige Gewährsleute. Allein, sie werden nicht genannt. Schade, dass Richter den Studierenden wenig Hilfen an die Hand gibt und keine Lust macht, seinen Quellen nachzugehen, um sich ein eigenes Bild machen zu können.
Überhaupt, die Lust. Leselust entwickelt man nicht bei der Lektüre, und das ist schade, denn das Thema ist spannend, aktuell und geht jeden an, der irgendwie mit Büchern zu tun hat – und es wurde ja viel zusammengetragen für dieses Buch. Dass es sich so träge liest, hat einerseits mit dem Stil zu tun. "Es gibt viele Wege, auf denen ein Manuskript zum Buch werden und schließlich an seine Leser gelangen kann. Der einfachste scheint darin zu bestehen, es an einen Verlag zu schicken. Doch die Verlagslandschaft ist vielfältig und unübersichtlich" (S. 7) – so beginnt Richter hölzern und ohne jeden Versuch eines Vorspiels sein Buch. Aber es liegt wohl mehr an den langen Kapiteln: Sie lesen sich wie eine Aneinanderreihung, als hätte der Autor Stichwort für Stichwort abgearbeitet.
Brigitte Schwens-Harrant , 19.12.2011
Brigitte.Schwens-Harrant@uibk.ac.at