Gerhard Stadelmeier: Umbruch, Wien: Szolnay 2016. 222 S. ISBN: 978-3-552-05799-922. Preis [A]: 22,70 €

 

„Wer am Dienstag die große Staatszeitung verlässt, sei es durch Kündigung, Tod oder Pension, ist am Donnerstag schon ganz und gar vergessen. Und es wird auch nichts von ihm mehr erzählt. […] Die große Staatszeitung kennt keine Dankbarkeit.“ (S. 160) Da bleibt, wenn man einmal das Glück hatte, ihr beitreten zu können und „fortan bis zu seinem seligen Berufsende“ dort zu arbeiten (S.174), nun aber altersbedingt abtreten muss, nichts übrig, als sich selbst ein Denkmal zu setzen. Gerhard Stadelmaier – unstrittig lange Jahre der streitbarste und umstrittenste Theaterkritiker, den die beiden Republiken, die deutsche wie österreichische, aufzuweisen hatten: wortgewaltig urteilsfroh, von prägnanter Sprachlust und dezidierten Ansichten – hat es also getan. Sich auch darin in eine lange Tradition der autobiographischen Presseromane stellend. Lässt man die französischen Klassiker von Balzac bis Maupassant oder George Robert Gissings New Grub Street (1891), deutsch Zeilengeld , einmal beiseite, dann fielen einem für Deutschland von Fritz Mauthner oder Heinrich Mann über Gabriele Tergit und Stefan Großmann bis hin zu Hans Werner Richter und Hellmuth Karasek leicht allerlei Vorbilder der Abrechnung ein, sei’s mit der Presse, sei’s mit Journalisten-, zumal Feuilletonfiguren.

Doch der „junge Mann“, wie Stadelmaier seinen Protagonisten apostrophiert, ist beileibe kein Andreas Zumsee , Heinrich Manns Pulcinell des Jahrhundertwende-Betriebs, der aufgrund seiner Selbstüberschätzung am Ende auf einen mageren Posten und in die Hasenheide abgeschoben wird. Auch nicht sein Wiedergänger Linus Fleck , der in der ‚Stunde Null in eine sagenhafte Karriere und zu Wirtschaftswunderzeiten wieder aus ihr heraus stolpert. Hier gibt es keine Aushälterinnen, die einem Protegé liebevoll auf den Weg helfen; hier gibt es nur die wundersam eigenständige Karriere im klassischen Dreischritt nach oben, von der provinziellen „Stadtpost“ über die landeshauptstädtische „Landeszeitung“ hin zur allmächtigen „Staatszeitung“. In Klarnamen: von der Schwäbisch Gmündner Tagespost über die Stuttgarter Zeitung zur Frankfurter Allgemeinen Zeitung .

Wenn einer aus sprachversiertem katholischem Milieu stammte, den heiligen Geist für weiblich hielt, früh in seiner Leidenschaft fürs Theater bestärkt wurde, unbändige Lust am großen Sprachtheater hatte und „ebenso früh“ begriff, „dass zwischen Lesern und Schreibern eine Liebesgeschichte sich ereignen musste, die natürlich den Hass, wie jede gute Liebesgeschichte, auch kannte“ (S. 27f), dann war dessen Weg quasi vorbestimmt… Zumal, zumindest anfänglich, Leichen seinen Weg pflastern, nicht von ihm, sondern von eigener Hand oder per Automobil und dergleichen aus der Welt gebracht. Unglücks- als Glücksfälle.

„Der Tag, an dem der Chefredakteur sich selbstmorden ging, war ein heiterer. […] Es waren Habichte und Bussarde in der Luft.“ So, paukenschlagend, die ersten Sätze. Und so geht es erst einmal fort, sottisensatt und schicksalsprall. Ein Weg wird so nach und nach durchlaufen, durch gesellschaftliche, vor allem aber Zeitungsumbrüche, vom Umbruch alten bleiernen Stils hin zur eigenhändigen Elektronisierung. Der Königsweg des ursprünglichen Herrschers über das Feuilleton, der gottgewollte und göttergleiche Theaterkritiker – in Zeiten seiner akzelerierten Entmachtung im Dies-und-das- und schließlich Debatten-Feuilleton. Aber wie das mit Zeiten des Niedergangs so ist, sie lassen wahrhafte Größen noch einmal ganz besonders strahlen. Wie umgekehrt diese die Zeiten, die ihren Aufstieg begünstigten, zu solchen des Verfalls erniedrigen müssen. Doch zunächst muss der junge Mann in der Zeit der langen Haare und der Schlaghosen, „in diesen verrückten Zeiten des Umbruchs naturgemäß auch: eine neue Zeitungszeit“ (S. 44) überhaupt erst einmal ein Feuilleton in der „Stadtpost“ etablieren, worin der Katholik prompt die „protestantische Hautevolee“ (S. 47) so gegen sich aufbringt, dass der Sparkassenvorstand dem Vater einen Kredit verwehrte. Der Sohn durchsteht tapfer die Unbilden und Gefahren der Provinzpresse, schreibt fort – und sich fort, nämlich in die „Landeszeitung“. Auch hier Umbruch. Die Altbesitzer werden ausgebootet und die neue Geschäftsführung installiert die Zeitung in einer Art Fabrikgebäude, zudem droht bereits der Computer, der die Setzer überflüssig machen wird.

„Man hielt in den höheren Regionen der Geschäftsleitung genau so viel von den Redakteuren, wie man ihnen an Ausstattung zugestand: wenig bis nichts“ (S. 107). Noch aber gibt es jene Redakteure, „Papierexistenzen“ (S. 92), die standesgemäß ständig besoffen sind, die seinerzeit die Berichterstattung über den Sputnik verpassten und das souverän als Widerstand der Kultur gegen die pure Technik des „Stück Blech von den Russen“ (S. 73) verteidigten, die ‚den Leser‘ für dumm und frech halten, „dumm, weil er unsere Zeitung lese, und frech, weil er sich dann auch noch über die Zeitung beschwere“ (S. 75).

Man sieht, Stadelmaier lässt keine Chance zu Anekdote oder Sottise aus. Wie die Zeitung von den Umbrüchen der Zeit, den technischen wie politischen, erfasst und verändert wird, so auch das Theater, auf dessen Bühnen es – mit Ausnahmen – in wohlfeiler Politisierung bergab geht. „Es war eine Zeit, in der große Teile der Gesellschaft, ja, und auch der Politik, glaubten, dass im Theater die großen, die gewaltigen, die wichtigen Fragen der Welt behandelt würden“ (S. 139). Eine snobistische Marotte des Autors will es nun, dass hier nichts und niemand, sei es im Journalismus, sei es am Theater, beim Namen genannt, sondern umschrieben wird – aber naturgemäß so erst recht aufschlüsslungsanfällig daherkommt. Hinterm „trinkfesten und morgenstarken Rezensenten“ (S. 93) und der „Goethe-Biene“ (S. 103) entbergen sich Richard und Effi Biedrzynski , wie hinter den Alteignerverdrängern die Firmen Klett und Bosch, der Feuilletonchef als Intendant ist natürlich Günther Rühle , wie Rainer Werner Fassbinders Skandalstück ebenso umständlich umschrieben wird wie Georg Hensel , John Cranko, Hochhuth, Peymann, Zadek oder Schleef, um nur ein paar zu nennen.

Inzwischen sterben die Journalisten auch nicht mehr, sondern verabschieden sich: „Der Tag, an dem der Chefredakteur sich verabschiedete, war ein kalter“ (S. 153). Der junge Mann ist da bei der „Staatszeitung“ angekommen, und erlebte unter dem sich verabschiedenden Joachim Fest die „glücklichsten [Jahre] seines Berufslebens überhaupt“ (S. 156). Für Kenner wie Nichtkenner schildert Stadelmaier die Wechsel und Veränderungen bei der FAZ , den Andrang junger, theoriegesättigter Oberseminar-Avantgardisten, Donaldisten und schneidiger Jungkonservativer, stellt Henning Ritter als „grandiosen philosophisch hochgebildeten Ungeniertheitsdenker“ (S. 176) heraus, erinnert sich, wie noch das Interview, „die billige, oberfaule, bequeme Befragerei zeitungsferner, mehr oder weniger prominenter Personen“ (S. 187) verpönt war, und verhehlt durchaus nicht seine Verachtung des „Debattenfeuilletons“:

„Der Kampf aber um […] die ganz eigene, originelle, die Wirklichkeit draußen auf ein Blättchen (nichts anderes heißt ja Feuilleton) komprimierende, spielerische, die Welt um und um drehende Deutung und Zuspitzung in der Pointe wurde schnell aufgegeben“ (S. 198).

Da nun hat der erstaunlicherweise immer noch „junge Mann“ vollends das ungute Gefühl, „es beginne hier die Verflüssigung der Zeitung, sie werde über die Ufer treten und sich irgendwann dort verlieren“ (S. 215). Obendrein kommt auch noch ein „etwas fragwürdig promovierter Möchtegern-Nachfolger, der auch wegen seiner Zündeleien im Ressort den Spitznamen Dr. h. c. Baby-Nero trug“ (S. 221). Da nimmt er innerlich denn doch Abschied, wiewohl er noch bis zur Verrentung einige Jährchen bleiben muss, die ihm die Zeit geben wird, seine Rückschau cum ira et studio niederzuschreiben. „Es waren herrlich arrogante Zeiten!“ (S. 188) Das denn doch!

Erhard Schütz , 15.05.2017