Feuilletonisten? Sind das nicht die vielbelächelten Exoten unter den Journalisten? Die sprachgewaltigen Spinner, die durch rhetorische Marotten permanent irgendwelche Distinktionssignale aussenden müssen? Und sich dabei trotzdem gern fürs große Ganze empfehlen, indem sie wahlweise den Welterklärer, Aficionado oder Amnestiker geben? Zu den unterhaltsamsten Passagen des Bandes „Kultur“ aus der Journalismus-Bibliothek des Halem-Verlags gehört die kleine Typologie der Kulturjournalisten. So wie ein Ferdinand Kürnberger es schon im Jahr 1856 tat, haben die Autoren Holger Heitinger und Leif Kramp kuriose Rollenklischees zusammengestellt.
Der mediale Raum, in dem Kulturjournalismus inklusive Literaturkritik stattfindet, ist ein weites Feld. Gängige Monografien zur Literaturkritik berücksichtigen die real existierende Medienpraxis (mit Ausnahmen ) nur mäßig; sie sind allzuoft historisch angelegt, als Ahnengalerie großer Kritiker. Und wo die Fachbücher synchron und systematisch werden, geht ihnen oft der Esprit aus. Genau der prägt das Feuilleton als „Meta-Ressort“ aber in fast schon mythischer Manier – und er trägt glücklicherweise auch den Zugriff des Halem-Bandes „Kultur“ in durchaus gelungener Art und Weise. Nicht selbstverständlich bei einer Reihe, die im Untertitel etwas proseminarbrav „Basiswissen für die Medienpraxis“ verspricht.
Das Buch ist dabei keineswegs unseriös geraten, im Gegenteil. Ausgewählte Stationen aus der (vor allem: zeitgenössischen) Geschichte des Kulturjournalismus werden ebenso kundig und kritisch beleuchtet wie Aufgabenfelder und Darstellungsformen. Wichtige Akteure und Skandale von Frank Schirrmacher bis Tom Kummer werden gewürdigt, gängige „Klischees und Konventionen“ des Ressorts Kultur, das neben Politik, Wirtschaft und Sport zu den vier Standardressorts jeder Vollredaktion gehört, hinterfragt. Insgesamt folgt das Buch trotz seines Grundkurs-Charakters einem beherzten, pointierten Ansatz. Darin, und weniger in einer letztgültigen, umfassenden Darstellung von Handbuchwissen, liegt der Wert dieses Bandes.
Immer wieder wird der Haupttext der fortlaufenden Kapitel durch Fallgeschichten (im Stil der BWL etwas albern als „Best Practice“ tituliert) oder andere Beistücke ergänzt, etwa zu Berufsbildern oder speziellen kulturjournalistischen Organen aus allen Mediengattungen. Ohne bundesdeutsche Scheuklappen werden auch „Falter“ und „Furche“ gewürdigt und mit Nonchalance auch Portale wie „ Vice “ oder „ Der Umblätterer “ charakterisiert. Überhaupt liegt eine wesentliche Leistung des Bandes darin, einen sehr weiten Begriff von Kulturjournalismus zu pflegen. Vom „FAZ“-Feuilleton bis zur „Out of Office“-Rubrik der kürzlich eingestellten „Financial Times Deutschland“ und von der Deutschlandradio-Sendung „Fazit“ bis zum Fußball-Magazin „11 Freunde“ sind kritische Geister nämlich an mehr Stellen zu orten, als sie der institutionelle Begriff von Kulturjournalismus gemeinhin bedenkt.
Die Literaturkritik nimmt im Gesamtportfolio dieser Monografie naturgemäß nur eine Spartenstellung ein; gleichwohl kommt der Band auf wichtige Aspekte zu sprechen, die auch ihr Metier betreffen. Mit Recht problematisiert wird die Tendenz zur Meinungskonformität: „Das Ressort, das sich selbst gern als Marktplatz der Meinungen stilisiert und seine Diskurskultur für unerreicht hält, steht fest zusammen, wenn es um Abweichler und exotische Meinungen geht.“ In der Tat: Die Einmütigkeit, mit der ein Peter Handke in der Serbienfrage oder eine Sibylle Lewitscharoff nach ihrer Dresdner Rede verurteilt wurde, demonstrierte Diskursmacht, wie sie Foucault nicht besser hätte beschreiben können.
Eine originär literaturkritisches Problem stellt das Phänomen des kalten Rezensierens dar: „Es gehört mittlerweile zur Berufskrankheit des Kritikers, dass Rezensionen verfasst werden, ohne den Roman gelesen oder den Film gesehen zu haben.“ Die kürzlich entfachte Debatte um ein von Elke Heidenreich behauptetes Heidegger-Zitat, das für Verwerfungen im „Literaturclub“ des Schweizer Fernsehens sorgte, weil Heidenreich offenbar allein auf Basis des SRF-Dossiers statt der realen Rezeption des in der Büchertalkshow besprochenen Heidegger-Bandes argumentierte, illustriert diesen Sachverhalt beredt. Dass danach nicht Elke Heidenreich, sondern Stefan Zweifel als Moderator der Sendung gehen muss, wirft grundsätzliche Fragen nach der Glaubwürdigkeit von vergleichsweise hochdotierten Fachredaktionen im öffentlich-rechtlichen Fernsehen auf.
Ein weiteres Augenmerk des Bandes liegt auf dem Thema Journalismus und PR. Dem Kulturjournalismus erwächst durch die zunehmenden Budgets für Corporate Publishing ernstzunehmende Konkurrenz. Unternehmen, Verbände und auch staatliche Institutionen übernehmen die Information ihrer Zielgruppen – und das in journalistisch durchaus professioneller Weise – immer öfter selbst.
Löblich ist, dass sich das Buch auch Gedanken zur bescheidenen Forschungssituation des Kulturjournalismus macht – und zur Zukunft des Metiers generell. Im Niemandsland zwischen medien- und literaturwissenschaftlichen Disziplinen braucht der Kulturjournalismus dringend eine größere Lobby in der deutschen Hochschulszene. Mit den vielen Stimmen aus der digitalen Welt ist Kulturjournalismus paradoxerweise nicht automatisch wichtiger, aber auch nicht unwichtiger geworden. Denn „ellenlange Rezensionen von Radioweckern oder Dampfbügelstationen zeugen von Diskursfreude, aber auch von kakophonischen Ausmaßen“ des Laienkritikwesens. In Abgrenzung zu den „Beifalls-Bäuerchen“ bei Amazon & Co müsse professionelle Kritik ihr Tun stärker denn je kommentieren und reflektieren; sie muss sich darüber hinaus durch weitere Spezialisierung, mehr Glaubwürdigkeit und auch neue Kompetenzen profilieren. Der Hinweis der Autoren auf die „dokumentarische Potenz“ des Perlentaucher zeigt, wie ein originäres Online-Portal ein fortlaufend kompetenteres Archiv für Feuilleton und Literaturkritik aufgebaut hat, während die Online-Ableger der traditionellen Zeitungen erst zögerlich zu den Ideen des long tail vordringen. Zugleich verändert der digitale Journalismus die Debatten selbst. Die „ Verschlagwortung “ von Themen und Diskursen, wie sie neuerdings auch der Perlentaucher praktiziert, hat – wie Hettinger und Kramp betonen – „deutenden Charakter und gibt Richtungen vor, noch bevor überhaupt die Diskussion begonnen hat“.
Kurzum: Als anregende, schlaglichtartig tiefergehende Einführung in Theorie und Praxis des Kulturjournalismus ist der Band rundum zu empfehlen.
Marc Reichwein , 18.7.2014