Erschienen ist der Band 2016, an Aktualität eingebüßt hat er jedoch nichts, die Liste der porträtierten Frauen ist seitdem immer noch komplett. Simone Frieling porträtiert in ihrem Band Ausgezeichnete Frauen. Die Nobelpreisträgerinnen für Literatur die bisherigen Laureatinnen des am höchsten gehandelten Preises für literarisches Schaffen. 14 an der Zahl sind das von insgesamt 113, eine schwache Ausbeute von 12.4 %. Darüber verliert die Autorin irritierenderweise kein Wort. Eröffnet wird der Band von einem 15-seitigen Porträt Alfred Nobels, das nichts bahnbrechend Neues enthält, abgeschlossen wird er von einem Kapitel über das Mysterium der Nobelpreisvergabe. Ein Mysterium ist auch der Aufbau des Buches. Wieso es wichtiger sein soll, den Preisgründer zu porträtieren, ohne einen Bezug zum Thema herzustellen, als sich mit der Frage auseinanderzusetzen, wie es zu einem dermaßen unausgeglichenen Verhältnis von männlichen und weiblichen Preisträgerinnen kommen konnte, lässt sich kaum nachvollziehen. Diese einzig relevante Frage handelt Frieling in wenigen Sätzen ab. Ihre Erklärung reduziert sich auf die Zusammensetzung der Schwedischen Akademie, in der Frauen die Ausnahme sind, eine zweifellos richtige Beobachtung, die aber einer literaturhistorischen und -soziologischen Einbettung bedarf. Dass Männer dazu neigen, weibliche Schriftstellerinnen zu übergehen und zu marginalisieren, sowohl in der Lektüreauswahl als auch in Fragen der Wertung, ist in erster Linie Symptom, nicht Ursache des androzentrisch gewachsenen Ungleichgewichts. Dass Frauen in ihrer Sozialisation darauf trainiert sind, eine männliche Perspektive einzunehmen, Männer aber bisher kaum dazu eine weibliche, ist wirklich nichts Neues. Um dem nachzugehen muss man das Rad nicht neu erfinden, zur Problematik von Lesesozialisation, zur Hegemonie ‚männlicher‘ Wertungsmaßstäbe und der Übermacht männlicher Instanzen der Wertung gibt es schon einige Untersuchungen, auf die man verweisen hätte können, und sei es nur Ruth Klügers Frauen lesen anders . Ebenfalls nicht erörtert wird die Frage, wieso es von Interesse ist, gerade die weiblichen Nobelpreisträgerinnen zu porträtieren und wo der Wert über den biographischen Aspekt hinaus liegt. Geht es darum, die Mechanismen dieses Preises offenzulegen? Auf die Willkürlichkeit der Preisvergabe hinzuweisen? Die Wertungskriterien ad absurdum zu führen? Auch der Status des Nobelpreises als bedeutendste Auszeichnung für Literatur und damit die symbolisch aufgeladene Bedeutung der PreisträgerInnen ist nicht selbsterklärend. Durch die Ausklammerung solcher Überlegungen bleibt der Beitrag über die Arbeit des Nobelpreiskomitees anekdotenhaft und willkürlich. Fragen nach den Mechanismen von Kanonisierung bleiben nicht nur unbeantwortet, sie werden gar nicht erst gestellt.
Soviel zu dem, was der Band verabsäumt. Das war er macht ist leider nicht wesentlich besser. Die Porträts sind umfangreich und kurzweilig geschrieben. Frieling mischt Biographisches mit Betrachtungen des Werkes. Das könnte zumindest ein interessanter Abriss weiblichen Schreibens im 20. Jahrhundert sein, doch die dargebotenen Interpretationen sind schwach und zum Teil stark tendenziös. Statt eine neutrale, deskriptive Haltung einzunehmen, agiert die Autorin als Kritikerin, und das ziemlich unprofessionell.
Ihre Abneigung gegen die österreichische Nobelpreisträgerin Elfriede Jelinek kann die Autorin etwa nicht verhehlen. Die „feministische Ideologie“ (S. 201) ist ihr ein Dorn im Auge, Gier sei ein „oberflächliche[r] und völlig belanglose[r] Roman“ (S. 196), Lust ist Pornographie. So geht es den ganzen Beitrag über flott dahin, was einen doch erstaunt zurücklässt. Frielings Fazit: „Jelinek gehört zu den leidenden Popstars, die ihr Leben vermarkten. Einem untrüglichen Instinkt folgend, wissen sie, dass ihre künstlerische Begabung begrenzt ist. Also beuten sie noch den schützenswertesten Teil ihrer Persönlichkeit aus; wenn das gut geht, ein Leben lang. Sie kranken an sich und der Gesellschaft und wählen ihre Themen danach aus.“ (S. 204). Das mag die Meinung der Autorin sein, die Art wie sie vorgebracht wird, ist polemisch und unprofessionell. Manches, und da wird es richtig ärgerlich, ist schlichtweg falsch, so schreibt Frieling über die „Nestbeschmutzerin“ Elfriede Jelinek: „Der österreichische Politiker Jörg Haider erließ ein zeitweiliges Aufführungsverbot ihrer Bühnenstücke.“ (S. 187) Abgesehen davon, dass man sich schon fragen muss, wieso die Autorin glaubt, dass Jörg Haider in einer Position gewesen sei, die es ihm rechtlich erlaubte, ein Aufführungsverbot zu erlassen, war es natürlich genau umgekehrt und Jelinek selbst erließ ein Aufführungsverbot in Österreich als Protest gegen die Schwarz-Blaue Bundesregierung. Solche Schnitzer dürfen nicht passieren. Andere Autorinnen kommen offenbar aufgrund persönlicher Präferenzen besser weg. Es ist ein moralischer Kompass, von dem sich die Autorin durch das Werk der Nobelpreisträgerinnen dirigieren lässt und nach dem sie Texte deutet. Der bösen feministischen, völlig unverdienten Nobelpreisträgerin Jelinek steht die nette „alte Dame“ Alice Munro gegenüber: „Anders als ihre feministischen Kolleginnen hat Alice Munro durch die Bewirtschaftung einer Farm die Lebenswirklichkeit kennengelernt, in der die ‚Dringlichkeit dieser Arbeit‘ nicht nach dem Geschlecht fragt.“ (S. 254). Manche Stellen sind nicht nur subjektiv, sondern befremdlich, etwa die Interpretation von Munros Erzählung Putenzeit : „Alice Munro hätte keine passendere Umgebung als den blutverschmierten Tisch einer Putenfarm finden zu können, um einen Homosexuellen einzuführen: als Bindeglied zwischen Männern und Frauen, den Erwachsenen und den Jugendlichen, zwischen Fleischeslust und Ekel.“ (S. 255). Sogar wenn man irgendwie versteht, was die Autorin meint, ist die Formulierung äußerst ungeschickt, zumal keine weitere Erläuterung folgt. In Munros Erzählung geht es um das Bild, das von Homosexuellen herrscht, im Positiven wie im Negativen, es geht um die soziale Ächtung und was daraus erwächst und ist in Wahrheit eine Absage an das, was die Autorin in der beschriebenen Figur verkörpert sieht. Solche Fehlleistungen können schon mal passieren, in diesem Buch treten sie aber leider gehäuft auf. Allzu oft muss das Biographische als Erklärung für angebliche Schwachstellen des Werkes herhalten. Dass Sigrid Undset, norwegische Nobelpreisträgerin von 1928, 1945 nicht an eine Umerziehung der Deutschen glaubte, deutet Frieling so: „Dieser christliche Ansatz von Jaspers hätte der Undsets sein müssen. Aber ist vielleicht das fehlende Verzeihen ein Schlüssel zu ihrer Person und zu ihrem Werk? Vielleicht verzieh Undset sich nicht, die wichtigste Verbindung in ihrem Leben mit einem geschiedenen Mann eingegangen zu sein, die in ihren Augen zum Scheitern verurteilt war.“ Undset war eine hochpolitische Autorin, die schon früh gegen die Nationalsozialisten protestierte und 1940 fliehen musste, was ihre wenige Monate nach Kriegsende getätigte Äußerung mehr als erklärt. Frieling bringt aber lieber Undsets Liebesleben als Erklärung für ihre politische Haltung in Stellung und will ihr auch noch einen christlichen Ansatz aufzwingen. Ähnlich ergeht es Toni Morrison, an deren Roman Heimkehr Frieling kritisiert, dass Morrison „die Verhältnisse“ überzeichne und „die Anhäufung der Grausamkeiten“ (S. 167) die Geschichte schwäche. Auch hier folgt die schwache Erklärung: „Vielleicht schlägt sich in diesem kurzen Roman privates Unglück nieder: das Sterben ihres Sohnes Slades 2010, dem Morrison auch Heimkehr gewidmet hat.“ (ebd.) Man sollte doch genug Bewusstsein für die eigene Privilegienposition als weiße Mitteleuropäerin erwarten können, um einer afroafrikanischen Schriftstellerin nicht eine „Überzeichnung“ der an Schwarzen begangenen Gräueltaten vorzuwerfen.
Ein weiteres Manko sind fehlende Quellenangaben und mehr als zufällig gestaltete Literaturhinweise. Ein solches Buch zu verfassen und sich mit dem Werk so vieler Autorinnen auseinanderzusetzen, ist zweifellos eine große Leistung, das soll nicht unerwähnt bleiben. Auch ein subjektiver, wertender Zugang ist per se nicht schlecht und kann als Anregung verstanden werden. Zugute halten kann man dem Band auch das große Engagement und die spürbare Leidenschaft, mit der die Autorin sich den von ihr Porträtierten nähert. Ein bisschen mehr Sorgfalt und Zurückhaltung der eigenen Meinung, die nicht als solche gekennzeichnet wird und daher dogmatisch die Texte dominiert, wäre aber dringend notwendig gewesen. Frieling stellt jedem Porträt einen Scherenschnitt voran. Das passt auch zu ihrer Vorgehensweise. Leider sind sie zu grob geraten.
Veronika Schuchter , 08.05.2018