Julia Genz: Diskurse der Wertung. Banalität, Trivialität und Kitsch. München: Fink 2011. 381 S. ISBN: 978-3-7705-5055-5. Preis [A]: € 51,30.

 

Wer glaubt, dass Julia Genz sich in ihrer Habilitationsschrift Diskurse der Wertung. Banalität, Trivialität und Kitsch mit Groschenheften und Liebesromanen auseinandersetzt, der wird enttäuscht werden. Mit gutem Grund: Genz interessiert sich nicht dafür, welche Objekte im Laufe der Zeit mit den Attributen banal, trivial oder kitschig versehen wurden, sondern welche Diskurse diese Abwertung bestimmen. Ihren Fokus legt sie dabei auf das 19. und 20. Jahrhundert. Die Objekte der Abwertung, so hält Genz fest, sind „höchst heterogen“ und unterliegen „dem jeweiligen geschichtlichen Wandel“ (S. 10), die Diskurse darüber sind aber erstaunlich konstant. Die Hauptthese der Arbeit geht davon aus, dass sich der Diskurs der Abwertung „auf drei Arten der Rezeptionsverhältnisse von Mensch und Kulturerzeugnis bezieht“ (ebd.): Abgewertet werden Produkte mit einer zu großen sozialen Reichweite, solche, die sich einer simplifizierenden Darstellungsweise bedienen und/oder die „auf eine eingängige Sinnlichkeit und automatisierte Emotionsprozesse abzielen“ (ebd.) und daher als stereotyp bewertet werden. Nun ist diese These weder neu noch sehr gewagt und kaum jemand wird ihr widersprechen, hat die Trivialliteraturforschung sie doch schon lange bestätigt. Die Autorin bemängelt den undifferenzierten Umgang mit den drei Begriffen und setzt sich das Ziel, dem synonymen Gebrauch ein Ende zu setzen. Dazu legt sie zunächst den Forschungsstand kenntnisreich und ausführlich dar. Die Gemeinsamkeit liegt in der Bewertung der Zugänglichkeit. Genz schlägt zur Ausdifferenzierung ein Modell vor, das Banalität, Trivialität und Kitsch als „sozial, kognitiv und emotional bzw. sinnlich“ (S. 339) voneinander trennt und ein polares System bildet: Banalität steht Exklusivität, Trivialität Komplexität und Kitsch Kunst gegenüber. Im Interpretationsteil befasst sich die Arbeit daher nicht mit Texten, die als kitschig, banal oder trivial bewertet wurden, sondern mit solchen, die Diskurse der Abwertung und Zugänglichkeit abbilden oder thematisieren. Wie machen literarische Texte Abwertungen sichtbar? Beteiligen sie sich dabei selbst an den Wertungsdiskursen oder gelingt es ihnen, Distanz zu wahren? Sinnvoll erscheint dabei die systematische Gliederung des Interpretationsteils, müssten in einem historischen Aufbau doch die Objekte der Zugänglichkeitsdiskurse selbst betrachtet werden, was mitunter den Anschein einer „teleologische[n] Entwicklung“ (S. 25) wecken könnte.

Vor allem in der Interpretation gibt es doch einige Schwachstellen, so ist der Vergleich zwischen Imre Kertész‘ Roman eines Schicksallosen und Ruth Klügers weiter leben äußerst unpassend, weil das eine ein Roman, das andere aber ein autobiografischer Text ist, was die Arbeit aber nicht berücksichtigt. So wird weiter leben als Roman bezeichnet (S. 191) und auch als solcher behandelt. Beständig vermischt werden Autorin und Erzählerin (S. 200). weiter leben ist ein Text, der die Brüchigkeit und den Konstruktcharakter von Erinnerung thematisiert. Deshalb ist es durchaus angebracht, von einer Erzählerin zu sprechen, doch dann können die beiden Begriffe nicht abwechselnd und synonym verwendet werden. Klügers Text wird wie ein fiktiver Text behandelt, der Vergleich der Erzählstrategien wirkt dabei äußerst befremdlich, etwa wenn es heißt: „So thematisiert sie ebenfalls die irreführende Wirkung der idyllischen Namen ‚Buchenwald‘ und ‚Birkenau‘, führt dies aber nicht direkt an den betroffenen Figuren vor wie im Roman eines Schicksallosen […].“ (S. 197f). Klügers Text bedient sich literarischer Mittel, fiktionalisiert aber nicht, weshalb sie an ihren ‚Figuren‘ auch nichts vorführen kann. Unangebracht ist daher auch folgende Kritik: „Die Diskursverhältnisse beschreibt Klüger allerdings nur auf der Objektebene, sie nutzt sie nicht in poetologischer Hinsicht. Sie nimmt dementsprechend die Affinität von Kitsch und Holocaust im Hinblick auf eine verlogene Darstellung wahr, die es zu kritisieren gilt. Sie benutzt Banalität, Trivialität und Kitsch nicht als möglicherweise adäquate Stilmittel, um Perversität und Verlogenheit eines Systems herauszustellen […].“ (S. 200). Einen autobiografischen Text über den Holocaust zu kritisieren, weil er nicht die „möglicherweise adäquate[n] Stilmittel“ einsetzt, die in Kertész‘ Roman Wirksamkeit entfalten, lässt wissenschaftliche Distanz und Respekt vor dem Text vermissen. Überhaupt verkennt die Arbeit Bedeutung und Anspruch von weiter leben deutlich. Klüger besteht auf einer beschränkten Zugänglichkeit der Holocaust-Thematik und sie wird auch nicht „zu wertenden Stellungnahmen“ (S. 197) gezwungen, sondern sie tätigt ganz bewusst einen Akt der Wertung, wenn sie bestimmte Texte über den Holocaust als Kitsch bezeichnet. Wenn Klüger hingegen vom Geheimnis der Konzentrationslager spricht, so meint sie ihr eingeschränktes Wissen als Kind, vor dem die Erwachsenen nicht über den Tod sprechen wollen, aber nicht, dass KZs generell ein Geheimnis darstellen. Ihr Text ist ja gerade der Versuch, Zugänglichkeit herzustellen, aber eben eine, die eine andere Form annimmt und sich nicht in einen normierten Erinnerungsdiskurs fügt. Sehr wohl beharrt sie aber auf einer Deutungshoheit, die jenen zusteht, die die Erfahrung des Holocaust selbst gemacht haben. Überhaupt fällt auf, dass der Akt der Wertung in der Arbeit auffällig negativ konnotiert wird, für Klüger stellt es aber gerade eine Notwendigkeit dar, Stellung zu beziehen.

Andere Kapitel sind hingegen sehr lesenswert und informativ, etwa Kapitel 6 über dadaistische Autorenkollektive oder Kurt Schwitters‘ Merz als Ein-Mann-Bewegung. Überzeugen kann auch das Kapitel 5.6 über den Konsum als Domäne des Integrations- und Werbediskurses und die Interpretationen von Texten der Popliteratur, die an sich ein hohes Maß an Zugänglichkeit aufweisen, gleichzeitig aber Banalitäts-, Kitsch- und Trivialitätsmarker setzen und so eben jene Zuschreibungen unterlaufen.

Die einzelnen Ergebnisse können hier nicht rekapituliert werden, daher nur einige punktuelle Bemerkungen: Stilistisch kann Genz‘ Buch den Status als Hochschulschrift nicht verleugnen, entsprechend trocken fällt das Ergebnis aus, was freilich nicht zwingend als Vorwurf zu verstehen ist. Schwerer wiegt, dass der theoretische Anspruch im interpretatorischen Teil nicht konstant erfüllt werden kann. Der Fokus auf die Texte ist sehr eingeschränkt und wirkt mitunter etwas willkürlich und bemüht. Für Texte wie Marlene Streeruwitz‘ Heimatroman-Parodie Lisa’s Liebe oder auch Christian Krachts Faserland und Bret Easton Ellis‘ American Psycho erweist sich dieser Zugang als fruchtbringend, für andere, wie Klügers weiter leben allerdings nicht. Problematisch erscheint die Zusammensetzung des Korpus. Es ist sehr umfangreich und heterogen, leider vermisst man auch den roten Faden und bleibt als Leser/in etwas verloren zwischen den einzelnen Kapiteln. Aus der Einleitung geht nicht wirklich hervor, was die Arbeit leisten soll. Sie beansprucht einen Perspektivenwechsel, befasst sich aber in Wahrheit mit einem anderen Diskurs, weshalb es auch nicht gelingt, die Diskurse, die hinter der Zuschreibung von Banalität, Trivialität und Kitsch stehen, zu beschreiben. Stattdessen beschäftigt sie sich mit sehr speziellen Fragestellungen und Texten, wie Georg Büchmanns Zitatensammlung Geflügelte Worte oder Flauberts Bouvard et Pécuchet . Auch ist fragwürdig, ob sich Banalität, Trivialität und Kitsch tatsächlich so einfach über soziale, kognitive und emotionale Zugänglichkeit unterscheiden lassen, oder ob sich nicht gerade das Banale und Kitschige im Trivialen vereint. Hier wäre eine Beschäftigung mit der Trivialliteratur zugerechneten Texten wünschenswert gewesen, denn diese konstituieren sich aus einer Kombination der genannten Elemente. Genz argumentiert natürlich ganz richtig, dass die abgewerteten Objekte heterogen und historisch sind. Folgerichtig hätte man, zumindest als Ergänzung, einen Blick auf die Literaturkritik werfen müssen und auf die Wissenschaft, nicht nur auf einen Roman über die Wissenschaft.

Insgesamt bleibt man etwas ratlos zurück. Einige Passagen lesen sich spannend und die Skizzierung des Forschungsstandes ist hilfreich, wenn man sich mit der Thematik auseinandersetzt. Vielleicht hätte man auch einfach einen anderen Titel wählen sollen, denn so wird die Erwartungshaltung geweckt, dass außerliterarische Diskurse der Wertung von Banalität, Trivialität und Kitsch umfassend dargestellt werden, was aber nicht zutrifft.

 

Veronika Schuchter , 25.06.2012

Veronika. Schuchter@uibk.ac.at