Im deutschsprachigen Raum gibt es über 2.000 Verlage , in Deutschland mehr als 4.000 Buchhandlungen . Unter den Verlagen sind viele ganz kleine, aber damit ist noch kein Werturteil ausgesprochen. Dass oft die Kleinsten interessante Bücher machen, zeigt der vorliegende Band bei blumenkamp – er dokumentiert Gespräche mit wichtigen VertreterInnen des Literaturbetriebs, mit Verlegern, Lektoren und Literaturagenten, aber auch mit einem Literaturkritiker, einem freien Verlagsvertreter und einem Veranstalter von Poetry Slams. Interviewt werden durchweg hochkarätige Vertreter ihrer Zunft, von denen man viele kennt, wenn man den Literaturbetrieb ein bisschen kennt, angefangen bei Heinz Ludwig Arnold, der auch für die Gründung des Promotionskollegs Wertung und Kanon an der Universität Göttingen maßgeblich verantwortlich zeichnet. Das durchweg hohe Niveau der Interviews überrascht dennoch – kaum einer, der allgemeine Floskeln bemüht und sich mit diplomatischen Bemerkungen aus der Affäre zu ziehen versucht, wie dies teilweise in einigen Beiträgen des bekannteren und ebenfalls 2010 erschienenen Bandes Literaturbetrieb in Deutschland der Fall ist.
Im Band dokumentiert wird die Vortragsreihe Verlegergespräche , die im Rahmen des genannten Graduiertenkollegs stattfand, das die VolkswagenStiftung finanziert. Den Anfang macht Wolfgang Balk, Geschäftsführer des Deutschen Taschenbuch-Verlags . Er sieht, wie viele andere, die zu Wort kommen, eine Entwicklung hin zu einer „Popularisierung auf hohem Niveau“ (S. 13). In der Literatur wie in der Wissenschaft sind Texte gefragt, die kein größeres Grundlagenwissen mehr voraussetzen. Eine wichtige Ursache sieht Balk in der Mediennutzung: „Das Freizeitverhalten hat sich zugunsten anderer Medien verschoben“ (S. 15). Die Suche nach schneller Orientierung zeigt sich auch in der Nutzung der Bestsellerlisten, denen Balk einen großen Einfluss zugesteht, insbesondere derjenigen des Nachrichtenmagazins Der Spiegel (S. 18).
Heinz Ludwig Arnold gehört zu jenen, die einen Blick zurück werfen. Er schildert, wie die erste Nummer der Zeitschrift text + kritik entstand (1963 zu Günter Grass; S. 23). Daraus entwickelte sich ein unübliches Verlagskonzept. Obwohl seit langer Zeit zu Boorberg gehörend, ist text + kritik unter der Leitung Arnolds unabhängig und kann immer noch, über die Konzentration auf Gegenwartsliteratur, am Markt bestehen – konkurrenzlos sind die Loseblattwerke Kritisches Lexikon zur deutschsprachigen Gegenwartsliteratur (KLG) und Kritisches Lexikon zur fremdsprachigen Gegenwartsliteratur (KLfG) , die leider im Band nicht ganz korrekt geschrieben werden (vgl. S. 26). Arnold kennt sich in allen Bereichen des Betriebs bestens aus. Er war und ist auch als Literaturkritiker tätig, als solcher lautet sein Credo: „Kritik ist dazu da, Literatur an intelligente Leser zu vermitteln.“ Arnold stellt aber auch fest, dass neuere Präsentationsformen von Literatur, etwa Elke Heidenreichs Sendung Lesen! , „mit Literaturkritik nichts zu tun“ haben (S. 30). Zur Situation des Buchhandels findet er ebenso erfrischend deutliche Worte: „[…] was da für eine Menge Blödsinn produziert wird, das ist unsäglich. Historienschinken, Geistheilerbücher, was da für ein Mist erscheint! Das verstopft natürlich die Buchhandlungen“. Und weiter: „Es gibt ja nur noch große Ketten, die einzelnen kleinen Buchhändler, die sich noch wirklich mit Literatur beschäftigen, werden immer weniger“ (S. 31).
Damit ist ein kritischer Grundton vorgegeben, der sich durch die vorliegende Publikation zieht. Karin Graf, die Mitinhaberin der bekannten Agentur Graf & Graf , meint zur Situation der Literaturkritik, dass sie „als Verkaufsinstrument rasant an Bedeutung“ verliere und in Verlagswesen und Buchhandel „die ‚Mitte‘ wegbricht“, weil sich die ProduzentInnen wie die LeserInnen immer stärker auf einige wenige Titel konzentrieren: „Dann kaufen die Menschen das, so wie die Lemminge sich ins Wasser stürzen“. Durch den Trend zu immer kleineren Auflagen der Mehrzahl der Titel einerseits und Spitzenauflagen einiger weniger Titel andererseits sei „die gute Literatur in Gefahr“ (S. 76).
Wie man dennoch weiterhin Erfolg haben kann, weiß keiner genau zu sagen – Konsens ist allerdings, dass es mit Lektürekompetenz und Berufserfahrung zu tun hat. Neben Graf und anderen betont auch der erfolgreichste ‚Verleger‘ (d. h. Geschäftsführer und Programm-Macher), den es derzeit im deutschsprachigen Verlagswesen gibt, die Bedeutung der subjektiven Auswahl von Texten – Michael Krüger vom Hanser-Verlag . Er ist überzeugt: „Literatur muss irgendetwas in einem anklingen lassen, was stärker ist als alle Augenblicksreize“ (S. 84). Und der Lektor und Literaturagent Andreas C. Knigge sieht für seinen Bereich der anspruchsvollen Comic-Literatur großes Entwicklungspotential (S. 100 f.).
Ein differenziertes Bild der Gesamtsituation zeichnet Hans Frieden, einer der erfahrensten Verlagsvertreter in Deutschland. Er sieht einerseits die Buchhandelsketten auf dem Vormarsch, für die Bücher nur noch „eine Ware“ sind. Andererseits hätten auch Branchenführer wie die Mayersche Buchhandlung erkannt, dass man als Buchhandlung „ein Profil braucht“ und dafür die marktgängigen Produkte allein nicht ausreichen (S. 109). Friedens Fazit lautet eher hoffnungsvoll: „Die Zukunft gehört dem intelligenten Buchhandel“ (S. 112). Es passt zu dieser Einschätzung, dass sich ein Interview mit Thorsten Ahrend anschließt, der vom Suhrkamp-Verlag zum jungen Göttinger Wallstein-Verlag gewechselt ist und dort als Teilhaber, gemeinsam mit Hauptinhaber Thedel von Wallmoden (der dann ebenfalls zu Wort kommt), ein ebenso ambitioniertes wie für einen kleinen Verlag erfolgreiches Programm macht.
Auch die anderen Beiträge wären eine Erwähnung wert, etwa von Starkritiker Denis Scheck, der die Literaturkritik, wie den Betrieb insgesamt, mit Pierre Bourdieu als machtbestimmtes ‚literarisches Feld‘ ansieht. „Kritiker streben grundsätzlich nach Macht“ und für jene, die bereits in den Strukturen des Feldes machtvolle Positionen innehaben, sei es natürlich leichter, ihre Vorstellungen durchzusetzen und „debattenfähig“ zu werden (S. 140).
Insgesamt schält sich der Eindruck heraus, dass Buchhandel, Verlagswesen und Literaturkritik zwar bestimmte und bestimmbare, historisch gewachsene Strukturen aufweisen, die allerdings durch zahlreiche Veränderungen außerhalb (z. B. technische Innovationen wie das Internet) und innerhalb (Konzentration, Schaffung neuer Trends) starken Veränderungen unterworfen sind. Die Akteure des Literaturbetriebs nehmen diese Veränderungen auf professionelle Weise gelassen – wie etwa Michael Merschmeier, Chef des Friedrich Berlin Verlags , der feststellt, dass man heute nicht mehr einfach voraussetzen kann, „dass jemand weiß, wovon Emilia Galotti handelt“, und man daher das notwendige Kontextwissen mitliefern muss (S. 153).
Durch kaleidoskopartiges Bündeln fundierter Einschätzungen regt dieser perspektivenreiche Band zum Nachdenken über die skizzierten Veränderungen an. Eine Erweiterung des Blickfeldes scheint dabei wünschenswert. Angesichts der Umbrüche im ‚literarischen Feld‘, die mit denen der ganzen Gesellschaft in enger Verbindung stehen, ist kritisch zu fragen, welchen Beitrag andere Institutionen leisten oder zu leisten vermögen, insbesondere Schulen und Universitäten. Vielleicht wird es Arbeiten im Promotionskolleg geben, die solche Fragen mit in den Blick nehmen. Die Debatte über die Folgen des veränderten Verhaltens der LeserInnen und der Akteure im Literaturbetrieb dürfte gerade erst begonnen haben.
Stefan Neuhaus , 14.07.2010